piwik no script img

Strippenziehender Monolith

Gründungsmitglied von „Kraftwerk“ und „Neu!“, Post-Hippie, Prä-Punk und „Godfather of Elektronika“: Ur-Kraut Michael Rother gastiert heute im Logo  ■ Von Nils Michaelis

Wer, außer vielleicht Olaf Dose ÄAnm. d. Red.: legendärer Hamburger Kampftrinker und Bowie-FanÜ, kennt eigentlich noch Neu!? Die meisten dürften diese deutsche Krautrock-Band der Siebziger, die wie ein großer, strippenziehender Monolith in die Musikgeschichte hineinragt oder auch als Mutter aller Punkmusiken bezeichnet wurde, die meisten also dürften Neu! schon wieder kennen: als coolen Verweis erneut strippenziehender Bands vom Kaliber Stereolab, Autechre und Sonic Youth.

Die Begeisterung für diese seltsamen Krauts schlug vor allem im angloamerikanischen Raum und natürlich in Japan die höchsten Wellen. Im Interview erzählt Rother dazu eine Anekdote: „Ich hörte, dass David Bowie unlängst bei seinem Auftritt in Gottschalks Wetten Dass? ins Publikum fragte, wer Kraftwerk, Can oder Neu! kennen würde, um dann zu bekennen, wie sehr ihn damals diese Bands beeinflusst haben.“ Schon damals war Bowie an einer Zusammenarbeit mit seinen Helden interessiert. 1977 erhielt Rother einen Anruf: „Bowie fragte mich, ob ich zu einer Kooperation bereit wäre. Das Problem war jedoch, dass sich damals Bowies experimentelle Musik schlecht verkauft hatte und dass sein Manager ihn auf eine eher poporientierte Richtung festlegen wollte, was mich wiederum nicht interessierte.“

Unter britischen Musikenthusias-ten ist die Erinnerung an Neu! bis heute frisch geblieben. Unlängst erkundigte sich John Peel in einer seiner Radiosendungen nach dem Gitarristen: „I wonder what this bloke Michael Rother is doing today.“ Die Antwort ist heute Abend fällig, wenn Rother zusammen mit seinem alten Bekannten aus den Siebzigern, dem Harmonia-Mitglied Dieter Moebius im Logo auftreten wird. Die Frage wird dann sein, ob Rother von der Entwicklung, die er lostrat (Tourslogan: „Godfather Of Elektronika“), überholt wurde, ob er noch immer seiner Zeit voraus ist, oder ob er einfach nur seinen kleinen musikalischen Garten umgräbt, gießt und bepflanzt – was nicht das Schlechteste sein muss.

Rothers post-Neu!-Solowerk sollte während der Achtziger und Neunziger Jahre vor allem die versöhnlerischen Konnotationen des Späthippietums in musikalische Formen überführen, was ihm manche wahlweise als Meditationsmusik oder als Weg in die große Seichtheit auslegten. Doch Rother hat sich angewöhnt, weder auf Hymnen, noch auf Kritik allzuviel zu geben.Bevor er zusammen mit Klaus Dinger 1972 Neu! gründete, war er mit Florian Schneider Ur-Mitglied einer anderen Legende: Kraftwerk. „Die Leute waren bei den Kraftwerk-Konzerten damals oft total begeistert, auch wenn wir in Wirklichkeit einen schlechten Auftritt hatten. Seitdem begegne ich den großen Lobpreisungen mit Vorsicht.“ Die von Kraftwerk unermüdlich kultivierte kalte Industrieästhetik betrachtet Rother heutzutage skeptisch: „Es fehlt jeglicher Mut, in die Tiefen der Emotionalität zu gehen. Die sind seit fünfzehn Jahren Gefangene ihres eigenen Museums.“ Das alte Geheimnis von Neu! lag in der Spannung zwischen der gebrochene Harmonien versprühenden Rother-Gitarre und den amphetaminesken Moe-Tukker-Schlagzeug-Durchmärschen seines Bandkollegen Klaus Dinger – dem eigentlichen Ur-Punk bei Neu!. Rother: „Zur Punkzeit haben speziell in England etliche Journalisten Querverbindungen von Punk zur Neu!-Platte von 1975 gezogen. Speziell was die zweite Seite vorgelebt hat: Die Wut, die da zum Ausdruck kam. Das hat aber eher das Gefühlsleben von Dinger repräsentiert. Als letzte Konsequenz kann ich Punk nicht nachvollziehen.“

Mit Dieter Moebius, dessen Wurzeln in der akademischen Musik der Sechziger liegen und dessen Solowerk bis heute eher nach Bizzarerie als Harmonie klingt, ist ein Mann an Bord, mit dem sich für den heutigen Abend erneut eine feine Dialektik entfalten könnte.

heute, Logo, 21 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen