piwik no script img

Medienaufsicht, Menschenwürde und große Brüder

Die hessische Landesmedienanstalt macht gegen „Big Brother“ und RTL 2 mobil

Die für RTL 2 zuständige hessische Medienaufsicht will weiter versuchen, „Big Brother“ zu verhindern. Heute will Wolfgang Thaenert, der Direktor der hessischen Landesanstalt für Privaten Rundfunk (LPR), noch einmal mit RTL 2-Geschäftsführer Josef Andorfer sprechen.

Zur Erinnerung: Bei der Reality-Show sollen zehn Kandidaten für 100 Tage in einem Wohncontainer bei Köln leben – unter permanenter Beobachtung der TV-Kameras. Wer in der „WG“ und bei den Zuschauern unbeliebt ist, fliegt raus. Dem letzten winken 250.000 Mark. Das Konzept stammt aus den Niederlanden, wo „Big Brother“ mit großem Erfolg bereits im Herbst 1999 gelaufen ist. Produzent der deutschen Version ist wiederum die holländische TV-Produktionsfirma Endemol.

Medienaufseher Thaenert glaubt, das mit diesem Projekt, „alle gesellschaftlichen Konventionen“ gesprengt würden. Rechtliche Handhabe für ein Verbot hat er zwar nicht, setzt aber darauf, dass die breite öffentliche Kritik bei den RTL-2-Verantwortlichen Wirkung zeigt. Wohl deshalb will Thaenert auch weitere LPR-Funktionsträger wie Vertreter der katholischen Kirche und der Gewerkschaften zum heutigen Gespräch mitnehmen.

LPR-Protest wäre nurnachträglich zulässig

Vorab könnte die Sendung allerdings nur verboten werden, wenn den Kandidaten akute Gefahr droht. Zuständig wäre dann auch die Kölner Polizei und nicht die LPR, bei der RTL 2 seine Sendelizenz hat: Landesmedienanstalten können Programme immer nur im Nachhinein – hier also frühestens nach einer Folge – beanstanden. Auf eine solche Strategie bereitet sich LPR-Chef Taennert auch schon gewissenhaft vor. So hat er bei der Bundesärztekammer angefragt, ob „Big Brother“ als unzulässiger „Menschenversuch“ anzusehen sei (die Antwort steht noch aus). Außerdem soll der Marburger Wirtschaftsrechtler Werner Frotscher ein Gutachten zur Frage abliefern, ob „Big Brother“ die Menschenwürde der Teilnehmer verletzt.

Damit ist die Debatte jetzt sehr hoch aufgehängt: Die Menschenwürde ist schließlich der höchste Verfassungswert. Niemand darf unter Missachtung seiner Persönlichkeit zum bloßen Objekt gemacht werden. Nach einer Änderung des Medienstaatsvertrags sind Programme, die gegen die Menschenwürde verstoßen, generell „unzulässig“. Doch diese Änderung, die nicht zuletzt mit Blick auf die Nachmittag-Talkshows beschlossen wurde, tritt erst am 1. April in Kraft. Sendestart für „Big Brother“ ist aber bereits der 1. März – einer von vielen juristischen Stolpersteinen für die LPR.

Problematisch ist auch der Begriff der Menschenwürde selbst: Wann sie tatsächlich verletzt ist, können auch Verfassungsrechtler nur sehr schwer beurteilen. Als 1981 das Bundesverwaltungsgericht entschied, dass Peepshows gegen die Menschenwürde der Sexdarstellerinnen verstoßen, hagelte es heftige Kritik aus der Rechtswissenschaft: Menschenwürde habe auch etwas mit Selbstbestimmung zu tun, hieß es, man könne Menschen nicht zu ihrer Würde zwingen.

Ohnehin kann Hessen auch nach dem Sendestart nicht allein gegen die weitere Ausstrahlung von „Big Brother“ vorgehen, sondern muss sich mit den anderen Landesmedienanstalten absprechen. In Eilfällen kann ein Ausschuss aus drei Anstalten (derzeit Bayern, Saarland und Hamburg) Empfehlungen abgeben.

Und ob die hessische Fundamentalkritik andernorts auch wirklich geteilt wird, muss sich noch zeigen. Bayern etwa will vor allem darauf achten, was konkret ausgestrahlt wird. Und das haben letztlich die Programmmacher von RTL 2 in der Hand. Denn im Fernsehen übertragen wird täglich nur ein 45-minütiger Zusammenschnitt des Geschehens.

Debatte ist vor allemWerbung für RTL 2

Auch beim holländischen „Big Brother“ waren keine harten Sexszenen zu sehen (wenn es denn überhaupt welche gab), sondern maximal Verrenkungen unter der Bettdecke. So ist der Rummel um „Big Brother“ vor allem Werbung für die Sendung und RTL 2.

Das weiß natürlich auch die LPR, hofft aber trotzdem, dass sich die aktuelle Antistimmung so verdichtet, dass der Sender zu Zugeständnissen bereit ist. Denkbar wäre etwa, dass den Teilnehmern täglich Ausgang oder Kamerapausen gewährt werden. Die Zuschauer müssten das nicht einmal bemerken. Christian Rath

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen