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Tschetschenen geben Grosny verloren

■ Nach fünfwöchigem Kampf ziehen sich die Kämpfer aus der tschetschenischen Hauptstadt zurück – angeblich „planmäßig“. Russlands Verteidigungsminister Igor Sergejew spricht dagegen von „Durchbruch“

Moskau/Grosny (AFP/rtr/taz) – Nach mehrwöchigem, hartnäckigem Widerstand haben die Tschetschenen in Grosny die Waffen gestreckt: Gestern verließen die Kämpfer nach eigenen Angaben die tschetschenische Hauptstadt. „Es gibt keinen einzigen Kämpfer mehr in Grosny“, sagte Mowladi Ugudow, ein Mitglied der tschetschenischen Führung. Schätzungen zufolge waren am Schluss noch zwischen 1.500 und 5.000 muslimische Soldaten in der Stadt. Bis 3 Uhr nachts (1 Uhr MEZ) hätten sie alle die Stadt verlassen, sagte Ugudow. Als Niederlage bezeichnete er den Rückzug gleichwohl nicht: Er sei schon länger für den 1. Februar vorgesehen gewesen und gehöre zum Verteidigungsplan.

Ugandow bestätigte jedoch, dass die Kämpfe um Grosny zahlreiche Opfer gefordert haben. So seien unter anderen gestern zwei ranghohe Kommandeure der Tschetschenen getötet worden, nachdem sie in ein Minenfeld geraten und dabei von den Russen beschossen worden waren. Einer der Getöteten sei Aslambek Ismailow, der die Verteidigung Grosnys befehligte. Zuvor hatten die Tschetschenen bereits gemeldet, am Montag sei der Bürgermeister von Grosny, Letscha Dudajew, umgekommen. Nach Angaben der französischen Tageszeitung Ouest-France wurde außerdem der Rebellenführer Schamil Bassajew „sehr schwer verletzt“. Dieser Bericht blieb jedoch von beiden Seiten unbestätigt.

Die russische Regierung und die Armee nutzten das Abziehen der Tschetschenen für eine Siegesmeldung, die jedoch halbherzig blieb: Sie bestritten den Rückzug aus Grosny, gleichzeitig sprach Verteidigungsminister Igor Sergejew jedoch von einem „Durchbruch“. Sergejew versicherte, seine Soldaten hätten nicht einen tschetschenischen Kämpfer aus Grosny herausgelassen, es sei denn mit weißer Flagge und erhobenen Armen. Der Tschetschenien-Sprecher der russischen Regierung, Sergej Jastrschembski, sagte, die Kämpfe in der Stadt dauerten weiter an, verliefen jedoch nach der Einnahme des zentralen Minutka-Platzes zu russischen Gunsten. Der prorussische Tschetschenenanführer Bislan Gantamirow erklärte, etwa 700 Rebellen säßen auf der Flucht in Grosnys Außenbezirken fest, während etwa die gleich Anzahl noch immer versuche, in die Stadt hineinzugelangen.

Unterdessen bekräftigte der geschäftsführende russische Präsident Wladimir Putin gestern auf der Nahost-Konferenz in Moskau im Beisein von US-Außenministerin Madeleine Albright Russlands Souveränität und das Recht auf territoriale Integrität des Landes. Obwohl Putin Tschetschenien nicht beim Namen nannte, wurde seine Äußerung als Zurückweisung der internationalen Kritik am russischen Vorgehen im Nordkaukasus gewertet. Albright hatte am Montag erneut die hohe Zahl von zivilen Kriegsopfern kritisiert und Russland vor einer zunehmenden internationalen Isolation gewarnt.

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