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Ein Hauch von Frieden im Kaukasus

Während in Tschetschenien weiter gekämpft wird, neigt sichder Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan dem Ende zu

Istanbul (taz) – Der Ort bietet ein Bild trostloser Verlassenheit: Eine schneeverwehte Straße, Stacheldrahtverhau und zwei Schlagbäume, die seit Jahrzehnten nicht mehr geöffnet wurden. Die Grenzstation zwischen Kars, der letzten Stadt im Nordosten der Türkei, und Jerewan, der armenischen Hauptstadt, ist schon so lange geschlossen, dass sich in den Dörfern entlang des Todesstreifens niemand mehr daran erinnern kann, wie es war, als man die Grenze noch passieren konnte. Doch der Eindruck täuscht. Seit Wochen mehren sich die Indizien, dass bald auch der letzte Stacheldraht des vormaligen Eisernen Vorhangs zerschnitten wird. Eine Öffnung der Grenze scheint bevorzustehen.

Voraussetzung dafür ist eine Beendigung des Krieges zwischen Aserbaidschan und Armenien. Schon vor Auflösung der Sowjetunion, Ende der 80er-Jahre, begann der Konflikt um die armenische Enklave Berg-Karabach in Aserbaidschan. Der Konflikt eskalierte, nachdem beide Länder 1991 selbstständige Staaten wurden, und mündete 1994 nach einem militärischen Erfolg der Armenier in einen bis heute andauernden Waffenstillstand. Seitdem vermittelt eine Kontaktgruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), in der unter anderen Deutschland, Russland und die USA vertreten sind, zwischen den beiden verfeindeten Staaten. Die Türkei hat in dem Konflikt die ethnisch und religiös verwandten Aserbaidschaner unterstützt, die Blockade Armeniens mitgetragen und die Grenzen geschlossen gehalten. Es gibt aber noch einen zweiten Grund für die geschlossenen Tore. Während des Ersten Weltkriegs, als von Istanbul aus noch das bereits seinem Ende entgegen taumelnde Osmanische Reich regiert wurde, ließen die Jungtürken, eine nationalistische Regierung, die anstelle des Sultans de facto die Macht ausübte, 1,5 Millionen Armenier, als angebliche Kollaborateure mit dem russischen Feind, in die syrische Wüste deportieren. Über eine Million Armenier starben. Dieser Völkermord, den alle türkische Regierungen bis heute bestreiten, belastet die türkisch-armenischen Beziehungen zusätzlich. Trotzdem haben sich die Regierungen in Jerewan und Ankara jetzt darauf verständigt, ihre Beziehungen zu normalisieren.

Der wichtigste Grund dafür ist die Lage im gesamten Südkaukasus. Seit Russlands Interimspräsident Wladimir Putin den zweiten Krieg Moskaus im Nordkaukasus führt, fürchten Georgien und Aserbaidschan, in den Konflikt mit hineingezogen zu werden und schlimmstenfalls ihre Unabhängigkeit wieder zu verlieren. Beide suchen deshalb Unterstützung im Westen, und der erste Vorposten des Westens für sie ist die Türkei. Die wiederum hat ein großes Interesse daran, die beiden Länder zu stützen. Der Transkaukasus ist für die Türkei einerseits die Brücke nach Zentralasien, zum anderen sollen zukünftig die großen Öl- und Gaspipelines aus dem Kaspischen Meer von Aserbaidschan über Georgien in die Türkei führen. An diesem, von der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku zu dem türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan führenden Jahrhundertprojekt, hat nicht nur die Türkei, sondern auch die USA ein großes strategisches Interesse. In der letzten Woche besuchte der türkische Staatspräsident Süleyman Demirel Georgien und schlug dort einen Stabilitätspakt vor, der das Ziel haben soll, den Südkaukasus gegen russischen Druck zu stabilisieren. Voraussetzung dafür aber ist, die internen Konflikte zwischen den Staaten im Südkaukasus, die der russischen Außenpolitik in der Vergangenheit immer wieder Gelegenheit boten, sich einzumischen, schnellstens zu beenden. An erster Stelle steht dabei der Krieg um Berg-Karabach.

Insider berichten seit längerem, dass ein Friedensvertrag praktisch unterschriftsreif ist. Präsident Haidar Alijew, der unumstrittene Chef in Aserbaidschan, ist bereits 75 Jahre alt und gesundheitlich schwer angeschlagen. Angesichts der jüngsten Drohungen aus Russland, die Aserbaidschan vorwerfen, den Nachschub für die tschetschenischen Kämpfer zu organisieren, ist Alijew bereit, den Armeniern entgegenzukommen. Berg-Karabach soll zwar nominell aserbaidschanisches Territorium bleiben, de facto wird das Land aber autonom regiert und bekommt über einen Korridor eine feste Anbindung an Armenien. Zweimal, einmal in Moskau und zuletzt am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos, trafen sich Alijew und der armenische Präsident Robert Koscharejan, um eine Einigung herbeizuführen. In Davos hieß es, bis Ende dieses Monats solle ein Friedensvertrag unterschrieben werden.

In diesem Fall werden die Schneewehen zwischen Kars und Jerewan bald geräumt werden und die Drahtschere, die zuerst der ungarische Außenminister Gyuala Horn 1989 in die Hand nahm, auch hier, am südlichsten Ende des Eisernen Vorhangs, in Aktion treten.

Jürgen Gottschlich

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