■ Während der Übernahmeschlacht zwischen Vodafone und Mannesmann wurden AktionärInnen erstmals umworben wie sonst nur Wähler vor Wahlen. Vodafone hat das Duell für sich entschieden, doch auch die Anteilseigner haben gewonnen: Ihr Einfluss ist gewachsen
: Der Wahlkampf der Konzerne

Anneliese Hieke ist erfreut und ärgerlich zugleich. „Die maßlos übertriebene Werbekampagne war Wahnsinn“, sagt die 58-jährige Betriebswirtin, die seit 1993 für die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre private AnteilseignerInnen auf den Hauptversammlungen von Mannesmann vertritt. Das wird der Vorstand beim nächsten Aktionärstreffen von Hieke auch zu hören bekommen – schließlich geht es um das Geld ihrer Klientel. Andererseits weiß die Anleger-Lobbyistin: „Der Einfluss des einzelnen Aktionärs hat zugenommen.“ Und das erfüllt sie mit Optimismus.

Nachdem der britisch-amerikanische Mobilfunkkonzern Vodafone Ende Oktober 1999 angekündigt hatte, Mannesmann übernehmen zu wollen, passierte etwas grundsätzlich Neues. Die Konzerne begannen, ihre Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit auszufechten. Plötzlich wurde das Fußvolk wichtig: die AktionärInnen, denen der Betrieb gehört.

Fast täglich buchte Mannesmann ganze Anzeigenseiten in den Tageszeitungen. Über dem Foto eines Babys etwa war zu lesen: „Eine feindliche Mutter wäre das Allerschlimmste“. Zwei Zeitungsseiten weiter antwortete die „feindliche Mutter“ Vodafone mit einer Gegenanzeige, auf der eine attraktive Lady aus ihrer Satin-Bettwäsche den LeserInnen entgegenschrie: „Ja, ich tausche Mannesmann gegen Vodafone.“

Wahlkampf-Werbung, die an die Agitation politischer Parteien vor Landtags- und Bundestagswahlen erinnert. Die beiden Konzerne kämpften um jede Stimme, oder besser: um jede Aktie.

Für Jürgen Kurz von der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz markiert das einen entscheidenden Wandel: „Die Deutschland AG wird schwächer“, sagt der Aktionärsvertreter. Früher zählte alleine der Konsens zwischen den Mächtigen in den Vorstands- und Aufsichtsratsetagen. Standen Fusionen oder Übernahmen von Unternehmen in Deutschland an, setzten sich die Bosse ein paar Tage zusammen, konsultierten die Chefs ihrer Hausbanken und holten schließlich einige wichtige Politiker und Gewerkschafter dazu. Dann war der Deal perfekt.

Dieses Modell hat nun Konkurrenz bekommen. Das hat auch mit der Struktur des Anteilsbesitzes von Mannesmann zu tun. Vodafone musste sich an jeden einzelnen Aktionär wenden, weil ein erheblicher Teil der Aktien unter Privatleuten in Deutschland verteilt ist. Geschätzte 8 Prozent der Anteile befinden sich im Besitz von KleinaktionärInnen, weitere 7,5 Prozent liegen in den Händen der Mannesmann-Belegschaft. Vodafone warb auch um diese Privatleute, weil am Schluss wenige Aktien den Ausschlag hätten geben können.

Damit bekamen die einzelnen AktionärInnen eine wichtigere Rolle zugewiesen, als sie vorher jemals hatten. „Das hat einen Hauch von Basisdemokratie“, sagt Anlegervertreter Kurz. Erstmals bahnte sich eine Art Mehrheitsentscheidung der „WahlbürgerInnen“ in einem Konzern an. Sie waren aufgefordert, darüber zu befinden, welches Unternehmenskonzept ihnen profitabler erschien. „Wir haben es hier mit einer Verschiebung der Machtverteilung innerhalb des Konzerns zu tun“, erklärt Anneliese Hieke von der Schutzgemeinschaft. Die Vorstände, Aufsichtsräte und Banken hätten Einfluss eingebüßt, die kleinen Besitzer dagegen gewonnen.

Das demokratische Element in großen Unternehmen hat im Zuge der Auseinandersetzung zwischen Vodafone und Mannesmann zugenommen – durchgesetzt hat es sich letztlich aber nicht. Weder Mannesmann-Chef Klaus Esser noch Vodafone-Vorstand Chris Gent haben die Schließung der Wahllokale und die Auszählung der Stimmen abgewartet. Denn gestern haben sie sich doch wieder hinter verschlossenen Türen geeinigt.

Entscheidend dafür dürfte gewesen sein, dass die Mehrheit des Aktienbesitzes von Mannesmann eben doch nicht in den Händen der kleinen Leute, sondern von großen Anlagefonds und Banken lag. Und diese scheint Vodafone durch die vorige Woche eingefädelten Kooperationen mit dem französischen Konzern Vivendi und dem US-Internet-Unternehmen AOL größtenteils auf seine Seite gezogen zu haben. Dass sich die Waagschale zu seinen Ungunsten senkte, hat Mannesmann-Chef Esser vermutlich bewogen, klein beizugeben.

Dieser Ausgang der Geschichte spiegelt die Verhältnisse in den großen Konzernen, die wie Mannesmann aus der alten Industrieepoche stammen. Wenn aber immer mehr Privatleute Aktien kaufen und immer mehr neue Unternehmen, bei denen Fonds und Banken nicht über den entscheidenden Einfluss verfügen, an die Börsen gehen,wird sich mancher Firmenchef in Zukunft vor seinen EigentümerInnen auf eine neue Art legitimieren müssen. Insofern könnte die Auseinandersetzung zwischen Vodafone und Mannesmann einen Meilenstein darstellen auf dem Weg zu etwas mehr Demokratie in der Wirtschaft.

Hannes Koch