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Die Diva hat Rouge aufgelegt

Die 50. Berlinale startet nächste Woche am Potsdamer Platz. Der Umzug vom Ku’damm zur neuen Mitte ist nicht der erste in der Geschichte der Berliner Filmfestspiele ■ Von Rolf Lautenschläger

Große Kinofestivals sind wie alternde Filmdiven. Ein wenig faltig, aber immer wieder auf jung geschminkt. Manchmal bröckelt die Maske, und der Tribut des Alters dominiert. Die „Berlinale“, das internationale Filmfest in Berlin, hat sich in den vergangenen Jahren mehr alt als jung gezeigt, man sprach gar von ersten Anzeichen der Leichenstarre. 50 Jahre spult das Filmfest sein Programm herunter, seit 20 Jahren managt Moritz de Hadeln als Direktor die Show. Ulrich Gregor, Leiter der Reihe „Forum des jungen Films“, ist fast 30 Jahre im Amt.

Das hat Spuren hinterlassen. Die Berlinale überrascht seit Anfang der 90er mit wenig Spektakulärem. Und mehr noch. 1998 patzte das Festival. Filme wurden zurückgezogen, Regisseure und Stars sagten ab. 1999 leistete sich der Regierende Bürgermeister bei der Eröffnung einen Fauxpas par excellence. Weltmännisch parlierte Eberhard Diepgen über Traumfabrik und Hauptstadt – auf der „Berinale“. Das Publikum lachte pikiert. Den mittelmäßigen Wettbewerbsbeiträgen gab man einen Korb und jubelte Volker Koepps Dokumentarfilm „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ zu.

Endstation Sehnsucht für die großen Filme, das Renommee der Berlinale, die Zuschauer, das Geschäft? Wohl kaum. Man hat sich für dieses Jahr viel vorgenommen – zumindest äußerlich. Zum 50. Jubiläum des Festivals hat die Berlinale ihren Spielort gewechselt. Vom piefigen Kurfürstendamm zog Moritz de Hadeln zwischen die glitzernden Hochhäuser an den Potsdamer Platz. Ganz so, als sollten die neuen Bauten als Verlängerung der Filmkulissen dienen.

Im Superlativ trumpft man mit 27 Kinosälen auf, in denen rund 300 Filme in über 700 Vorführungen gezeigt werden. Digitalton beschallt das Publikum, man kann sich in bequeme 7.500 Sitze fallen lassen, und kein Kopf versperrt die Sicht auf die breiten Leinwände.

Ganz hedonistisch, wie im modernen Leben, hat sich die Berlinale eingemietet auf dem Gelände von debis, Sony und in den Festspieltempel des Musical-Theaters. Das Festival gibt sich frech als Star unter den Stars aus der Welt des Kommerzes, des elektronischen High-Techs und der Big Show.

Vom 9. bis zum 20. Februar herrscht „Karneval“ am Potsdamer Platz, wie Alexander Horwarth, Ex-Direktor der Viennale, einmal sagte. Robert De Niro, Leonardo Di Caprio, Miloš Forman, Wim Wenders und Jeanne Moreau kommen, Kenneth Branagh. Laura Morante, Sora Toma werden lächeln um den Preis der Silbernen Bären.

Die Berliner stehen wieder tagelang um Karten an, verstopfen die Türen zu den Pressekonferenzen und lagern vor den Film-Centern, um ein wenig Glamour abzubekommen. Denn trotz des Umzugs vermarktet sich die Berlinale nach wie vor als das große „Publikums-Festival“ – im Gegensatz zu Cannes oder Venedig. Berlin bleibt das Film-Volksfest. Es setzt auf die Nähe zwischen der Filmwirtschaft, den Regisseuren, Nachwuchsfilmern, Schauspielern, Journalisten und den Zuschauern. Wohl kaum ein „A-Festival“ praktiziert mehr Transparenz zwischen den Stars und Cineasten als das Berliner. „It’s showtime, folks.“

Es ist im Vorfeld des Festivals zu Recht gefragt worden, ob mit dem Umzug der Berlinale an den Potsdamer Platz die alte Gemütlichkeit, wie sie in der City West herrschte, ein Ende haben wird. Das kühlschrankartige Ambiente aus Shopping-Malls und gläsernen Entertainment-Centern sei abschreckend, kritisieren Filmfans. Selbst für die Festival-Direktoren de Hadeln und Gregor hat der Ort noch etwa Fremdes. Man müsse die Filmfestspiele am Potsdamer Platz erst einmal „stabilisieren“, meint de Hadeln. Und Gregor fürchtet, dass die Konzentration so vieler Filme an einem Ort zur „Unübersichtlichkeit“ des Programms führen könnte.

Die Besucher werden über den neuen Ort streiten, sich aber an ihn gewöhnen – so, wie man sich in der Geschichte der Berlinale mit der Vielzahl der Umzüge und Liftings arrangiert hat: Der Start der ersten „Internationalen Filmfestpiele Berlin“ war antiquiert. Festspielleiter und Spielort fungierten als Protagonisten der großen deutschen Filmkunstzeit. Weitab vom Zentrum, im Stadtbezirk Steglitz, eröffnete Alfred Bauer, früherer Mitarbeiter der Ufa, am 6. Juni das Filmfest im alten Titania-Palast aus den 20er-Jahren.

Weitaus professioneller entwickelte sich das Festival ab Mitte der 50er-Jahre. Die Vergabe des Goldenen Bären per Publikumsabstimmung wurde durch eine internationale Jury entschieden. Die Hauptspielorte zogen an den Kurfürstendamm. Gina Lollobrigida und Sophia Loren, Henry Fonda und Errol Flynn wurden bejubelt. Ein Chronist der Springer-Presse stellte damals fest, vor der Filmbühne Wien hätten sich „tumultartige Szenen“ abgespielt, als Ruth Leuwerik 1957 dort aufkreuzte und Jane Mansfields Busen dort Jahre später aus dem Kleid platzte.

War die Berlinale als ideologisches Markenzeichen „des freien Berlin im roten Meer“ (Pressechef Hans Borgelt) gegründet worden, versammelte sich dort ab Mitte der 60er-Jahre der Protest gegen „Opas Kino“. Bauers Filmauswahl, der Einfluss der Kirchen und die Ignoranz osteuropäischer Regisseure wurden kritisiert. Abseits des Festivals, quasi als Gegenveranstaltung, lud ab 1964 Ulrich Gregor zur „Woche der Kritik“ mit Filmen der Nouvelle vague ein.

Einen erneuten Einschitt verzeichnete das Festival nach einem Skandal. Nach den Eklat um den deutschen „antiamerikanischen“ Wettbewerbsbeitrag „ok.“ von Michael Verhoeven, dem Rücktritt der Jury und dem Abruch des Wettbewerbs 1970 wurde 1971 das „Forum des jungen Films“ als Bühne für Nachwuchsregisseure installiert. Als Spielorte dienten kleine Programmkinos, die zu Stätten nächtelanger Diskussionen und zu Spiegeln der flirrenden Zeit des politischen und ästhetischen Aufbruchs sowie der Studentenbewegung avancierten.

Und 1978 war alles wieder anders: Vorausgegangen war, dass Wolf Donner, Nachfolger Bauers als Berlinale-Leiter 1976, den Rang Berlins im Festivalzirkus zwischen Venedig, Cannes, Los Angeles thematisierte. Um in der Konkurrenz zu Cannes nicht weiter abzufallen, verlegte Donner das Festival vom Sommer auf den Februar, um die neuesten Streifen der US-Major-Companies vor den Franzosen zu erhaschen.

Dass nun Moritz de Hadeln, der seit 1980 das Festival zu einem regelrechten „Tanker“ mit Wettbewerb, fünf Hauptprogrammen und Retrospektiven ausgebaut hat (in dessen Fahrwasser sich Filmmärkte, Kommerz-Shows oder Porno-Reihen rekeln), nun an den Potsdamer Platz wandert, scheint nur konsequent.

Der ehemalige Spielort rund um den Kurfürstendamm verkörpert das Kino der 70er- und 80er-Jahre mit seinen politischen und ästhetisch-experimentellen Programmen von der Nouvelle vague bis zum Neuen Deutschen Film, wie der Filmpublizist Peter W. Jansen feststellt. Hinzu kommt, dass die Berlinale als dezentrale Veranstaltung in der alten City West zwischen Zoo-Palast, Arsenal und Akademie der Künste zwar zu bewältigen war. Allerdings war mit dem Fall der Mauer die Unübersichtlichkeit perfekt: Zusätzliche Abspielorte im Ostteil der Stadt, das neue Berlinale-Zentrum in der Kongresshalle, Diskussionen und Pressetermine auf mehrere Standorte verteilt: das machte Halbtagestouren durch Berlin nötig.

Natürlich folgt die Entscheidung des Senats, die Filmfestspiele am Potsdamer Platz zu konzentrieren, auch politischem Gusto. In der „neuen Mitte“ ist man Teil der repräsentativen „wirtschaftlichen und kulturellen Highlights“. Unter dem Glasdach von Sony und im unterirdischen Cinestar mit 8 Sälen sowie im Neubau des Cinemaxx-Multiplex auf dem debis-Areal mit 19 Sälen gibt man sich runderneuert und geschminkt und frönt dem Leitmotiv der Hauptstadt: „It’s no buisness like show business.“

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