Das Leben ist schön

Trotz kleiner Scherze mit dem Heiligenschein weiterhin ein sehr guter und zuverlässiger Mensch: Der britische Großmusiker Sting erfüllte im Velodrom die Erwartungen seiner Fans

Da muss wohl eine kleine Welt etwas aus den Fugen geraten sein, wenn ein Musiker wie Sting sich nicht mehr hundertprozentig ernst nimmt. Sieht man Sting doch in dem Video zum Titelsong seines neuen Albums „Brand New Day“ mit einem Heiligenschein ins Wasser fallen, und erklärt er doch tatsächlich in Interviews, er würde sich mit dieser Szene ein klein wenig über sich selbst und andere Weltenretter lustig machen.

Vorbei also die Zeiten, in denen Sting zu einem der besten Menschen auf der Erde gehörte, amnesty international unterstützte, sich mit Tat, Rat und Geld für die Rettung des Regenwaldes einsetzte und das auch immer wieder kommunizierte. Mittlerweile lässt er seine Plattenfirma lieber Sätze zitieren wie diese: „Wenn man zu sehr an Sorgen, Unfrieden, Plagen und Seuchen denkt, wird sich dies irgendwann selbst erfüllen. Meine Strategie ist deshalb, optimistisch zu sein. Vielleicht ist das naiv, aber so bin ich eben.“

So ist er eben, der vermeintlich neue Sting: naiv, optimistisch, ein bisschen egoistisch, die Zukunft fest im Blick. Ein Musiker, der auf seinem neuen Album über nichts anderes singt als die Liebe und was sie alles für Wunder bewirkt. Und ein Groß- und Weltmusiker, der mit einem Haufen sehr bekannter und gewandter Kollegen wie Stevie Wonder, Cheb Mami, James Taylor oder Branford Marsalis ein Album aufgenommen hat, das weniger abwechlsungsreich und komplex als vielmehr gewohnt gefällig und sauber klingt.

Das ist schön, das ist legitim, das freut vor allem auch das Publikum, das am Freitagabend sehr zahlreich ins Velodrom gekommen ist. Worüber sich seine Fans aber sicher am meisten freuen ist die Tatsache, dass Sting ihnen immer das gibt, was sie erwarten. Musik, die sie seit Jahren aus dem Radio kennen, Hits, zu denen sie selbstvergessen mitschunkeln können, eine perfekte Show, ein guter Sound.

So wird dann auch nicht gerade viel kommuniziert: Liebesbeweise, hysterische Schreie oder Rufe nach bestimmten Stücken aus Stings Repertoire gibt es keine, und auch Sting, bescheiden gewandet in ein ärmelloses schwarzes T-Shirt und eine schwarzer Workerhose, begnügt sich damit, nach einer halben Stunde ganz routiniert auf Deutsch „Guten Abend, Berlin! Wie geht’s?“ zu sagen und dann seine siebenköpfige Band vorzustellen. Den Schulterschluss, den andere Musiker immer wieder der besseren Live-Atmosphäre und der Authentiziät wegen mit ihrem Publikum versuchen, hat Sting nicht nötig. Der würde den Ablauf seines Programms nur durcheinander bringen, der wird einfach vorausgesetzt. Trotzdem ist die Atmosphäre im Velodrom merkwürdig gedämpft und leblos, es ist ein bisschen wie im Fernsehen: Man guckt halt, wer da kommt, beschäftigt sich aber am liebsten mit sich selbst. Die Verbindung zwischen Sting und seinen Fans scheint sich aus anderen Quellen als denen eines Live-Sets zu speisen. Sting und seine Band spielen im Wechsel neue Songs und alte Hits, das Publikum bejubelt folgsam letztere und ist glücklich mit sich und seiner RTL-104,6-Welt. Es freut sich, wenn der Drummer plötzlich rappt, und es schaltet ab, wenn Sting seine Musiker ihr Können beweisen lässt, die Trompetensoli kein Ende nehmen wollen, der Keybordspieler beweist, was für ein großer Pianist an ihm verloren gegangen ist.

Das ist zwar alles sehr ausgereift und technisch perfekt, das ist Musik, Handwerk und Jazz, nicht Pop, doch es dauert eben oft einfach eine Idee zu lang. Selbst ein Song wie „Roxanne“, Standard bei jedem Sting-Konzert, gespielt als eine Art Medley in mehreren Versionen, lässt viele immer mal wieder wegfaden und sehnsüchtig den nächsten Großhit erwarten.

Enttäuscht aber ist keiner. Sting lässt seine Welt und die seiner Fans nicht aus den Fugen geraten, und er verabschiedet sich mit einer Akustikversion des schrecklichen Studentenhits „Message In A Bottle“. Denn trotz Heiligenschein und kleiner Scherze damit ist Sting kein Musiker, der sich remodelt, in Verwandlunsgstudios ein neues Image verpassen lässt oder auf Meta-Ebenen durch die MTV-Welt wandert. Ihn kann man drehen und wenden, durchleuchten und auf den Kopf stellen, Sting bleibt immer derselbe.

Er ist einfach verlässlich, und seine immergleiche Musik kündet davon, dass alles an seinem Platz ist und es sich lohnt, zu zweit etwas aufzubauen. Solcherart gestärkt gehen die meisten dann sehr zufrieden nach Hause: Alles wird schließlich gut. Gerrit Bartels