: Tausend Karten
Multimedial auf der Spur Alexander von Humboldts: Das Internet-Projekt „humbot“
Wir befinden uns am Ende des zweiten Jahrtausends: Alexander von Humboldt geht im Jubiläumsjahr von Goethe und Bach unter. Zwischen dem Mephisto-Menü in Auerbachs Keller und der Bach-Kantaten-Pilgerreise von Berlin bis New York bleibt keine Zeit für einen Gedanken an den Forscher, der vor genau 200 Jahren nach Südamerika aufgebrochen war. Allein in der Ausstellung „Netzwerke des Wissens“ wurde an Humboldt erinnert. Jetzt hat ein kleines Netzwerk von Menschen diesen Gedanken wieder aufgenommen: Künstler, Architekten, Programmierer, Theoretiker und Wissenschaftler folgen mit dem Projekt „humbot“ multimedial und international den Spuren Humboldts. Unter www.humbot.org haben sie ein Programm als eine Art Vergleichsmaschine ins Internet gestellt und füttern es nun mit Informationen, die sich um Alexander von Humboldt und Lateinamerika drehen: Auszüge aus Reisetagebüchern sowie Texte, Fotos und Videos, die von Reisen nach Venezuela stammen.
All diesen kleinen Informationshäppchen werden dabei bestimmte Merkmale zugewiesen, seien es die Ortskoordinaten eines Fotos oder der emotionale Zustand, der in einem Text beschrieben wird. Das Programm vergleicht innerhalb von zwölf Stunden alle Informationen miteinander und erstellt so eine Karte, die diese Informationen abbildet: Helle Punkte verbergen viele Daten und Punkte, die weit entfernt voneinander sind, unterscheiden sich auch inhaltlich. Veränderung ist bei dieser Karte beabsichtigt, die Informationsmenge wird ständig erweitert, und auch jeder Besucher der Website hinterlässt Spuren, die berücksichtigt werden. Die Referenz zu Humboldt liegt nicht weit, denn der Forscher beschäftigte sich auch intensiv mit der Erstellung von Karten, z. B. einer Weltkarte der Krankheiten.
So weit, so theoretisch. In der Wirklichkeit des Internets stellt sich die Karte als kryptisch dar: Viele kleine Quadrate in Schattierungen von Lindgrün bis Schwarz bilden eine diffuse Form. Darauf tauchen Links und kleine Navigationssymbole auf, deren Funktion sich aber durch Intuition und Ausprobieren nur schwerlich erschließt. Zudem ist die Schrift sehr klein, so dass sich Links und Texte nur mit der Nase am Monitor entziffern lassen. Auch die Videos stellen ein Problem dar, sie werden lange oder gar nicht geladen.
Wohl deshalb ist die Schnittstelle des Betrachters zur Vergleichsmaschine humbot in einer Ausstellung erweitert worden: Wenn realer und virtueller Raum nicht nur durch Maus und Bildschirm verbunden sind, fällt der Zugang leichter. So geschehen im vergangenen Herbst im Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe und jetzt in der Galerie K&S: Ein Steg aus rauhen Holzbrettern zieht sich durch den Raum mit einem angebauten großen Holzquader, auf dem zwei Computer stehen. Die Bildschirmoberflächen werden auch auf die Wände projiziert, wo zumindest die Texte und Videos zu angemessener Größe kommen.
Aus diesen provisorisch anmutenden Bauten und den dargestellten Datenmengen spricht dann irgendwie Alexander von Humboldt und haucht: „Heute wäre ich ein Techniknomade, mit Laptop, GSM-Handy und Digitalkamera, unterwegs auf einer langen Forschungsreise durch den Cyberspace.“ Der Forschergeist lebt, aber er versteckt sich unter der Benutzeroberfläche. Daniel Boese
Bis 4. März, Galerie K&S, Linienstraße 156, Mi.–Fr. 15–19 Uhr, Sa. 12–17 Uhr
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