Tod eines Traumpaares

Franz Xaver Kroetz hat sich für sein neues Stück „Das Ende der Paarung“ Gert Bastian und Petra Kelly zum Vorbild genommen. Mit seiner Uraufführung am Berliner Ensemble schlug Claus Peymann die Premierenbesucher schließlich doch noch in Bann ■ Von Esther Slevogt

Wie sie hoffen, irgendwer könnte sie brauchen, das Licht der Öffentlichkeit wieder auf sie fallen

Ein alter Mann und ein alterndes Mädchen, zwei ehemalige Polit-Aktivisten auf dem Abstellgleis. Er ist fast siebzig, geht am Stock und ist im Alter impotent geworden. Sie ist fünfundzwanzig Jahre jünger, aber nicht mehr jung, Die Wechseljahre haben eingesetzt und damit auch die Altersangst. „Wenn ich dich anschaue, weiß ich, dass mein Leben vorbei ist“, sagt Bert zu Sibylle: Zwei, die nicht mehr miteinander, aber auch nicht ohne einander leben können. Ein Stück über ein schreckliches Paar und sein schreckliches Ende.

Vorbild war der Tod eines politischen Traumpaares der alten Bundesrepublik: Gert Bastian, ein zum Pazifismus bekehrter General, und Petra Kelly, Gründerheroine der Grünen. 1992 waren sie in ihrem Bonner Reihenhaus tot aufgefunden worden. Bastian hatte erst Petra Kelly und dann sich selbst erschossen. Viele Tage lagen die beiden tot in ihrem Haus, bis man sie schließlich fand und kaum noch identifizieren konnte. Das frisch vereinigte Deutschland hatte neue Sorgen und neue Helden. Da ist so manche Lichtgestalt mitsamt Idealen über Nacht erloschen und vergessen worden.

Die Gesichter einiger dieser alten Helden sah man nun im Zuschauerraum des Berliner Ensembles wieder leuchten: Helden der Politik und des Theaters, von denen längst nicht alle den Sprung in diese neue Zeit geschafft haben. Zum Leuchten brachte diese Gesichter Claus Peymann, der den Medien zwar gesagt hatte, er wolle das neue Berlin und die Berliner Republik ein bisschen aufmischen, doch hinter diesem Interviewgeklapper eigentlich das Versprechen gegeben hatte, den vielen heimatlos Gewordenen dieser neuen Zeit in seinem Theater wieder ein Zuhause zu geben.

Die Theaterkritiker, die heute Abend naturgemäß auch ziemlich zahlreich erschienen sind, gucken skeptisch. Sie wollen kein Zuhause, sondern Kunst. Und da hat Claus Peymann bisher alt ausgesehen. Im Gegensatz zu Thomas Ostermeier beispielsweise, der jetzt immer so jung und neu und wichtig tut, dass er aufpassen muss, sich demnächst nicht als Modell auf den Plakaten wiederzufinden, mit denen Castorfs Volksbühne seit Jahren das Getue um das „neue Berlin“ verhöhnt. Aber das ist eine andere Geschichte.

„Hier ist nicht Stammheim!“, brüllt Bert, als Sibylle mit Filzstift in Riesenlettern „Entweder Mensch oder Schwein“ an die Schlafzimmerwand schreibt. Doch wenn man das plüschige Schlafzimmer mit seinen gepolsterten Türen und den schallisolierenden Wandpaneelen so ansieht, wird man den Eindruck nicht los, dass sich hier zwei Menschen ihr ganz privates Stammheim bereitet haben. Zwei Stunden lang hat man ihnen nun zugesehen: wie sie sich gegenseitig quälen, verletzen und verzweifelt wieder in die Arme fallen. Wie sie am anderen die Zeichen des Alters verachten, die sie an sich selbst so sehr fürchten. Und wie sie immer noch hoffen, irgendwer könnte sie brauchen, irgendeine Aktion könnte das Licht der Öffentlichkeit wieder auf sie lenken. Aber nichts geschieht. „Wir treten in einen Hungerstreik!“, sagt Sybille, und Bert fragt: „Wogegen?“ Sibylle resigniert: „Es gibt so viel!“ Zwei sind in die Isolationshaft einer Zeit geraten, der sie bloß noch hohle Phrasen über hungernde Kinder, Ausbeutung und Frieden entgegenzusetzen haben. Nach draußen dringt davon durch die schallisolierten Wände sowieso nichts mehr. Und innen herrscht Krieg. Da kann es keine Befreiung mehr ins Leben geben, sondern bloß noch in den Tod.

Spitzwinklig bohrt sich das Schlafzimmer in die Tiefe der Bühne. Links davon guckt man in ein unaufgeräumtes rosa Badezimmer: Schauplatz von so manchem Beziehungsgefecht. Aber auch der Ort verschämter Versuche, die Folgen des Alterns in den Griff zu kriegen. Selbstuntersuchung mit Spekulum, das Versenken nass gemachter Hosen im Wäschepuff. Auf der anderen Seite eine schäbige Küche in Grün.

„Das Ende der Paarung“ ist das jüngste Stück von Franz Xaver Kroetz, mit dem Peymann nun seine erste echte BE-Inszenierung präsentierte. Kroetz, den man wohl auch zu den alten Helden zählen muss. Mit fünfundzwanzig forderte er einen „westlichen sozialistischen Realismus“ und wurde DKP-Mitglied. Mit vierzig hatte er vierzig Stücke geschrieben und war der meistgespielte deutsche Dramatiker neben Brecht. „Ich will aufs Titelblatt und nicht ins Feuilleton!!“, hat dann eine seiner Figuren mal gebrüllt. Und Kroetz ging selbst dorthin: als Baby Schimmerlos in Helmut Dietls „Kir Royal“, als Springer-Kolumnist und Yellow-Press-Idol. Nun wird er vierundfünfzig, fragt nach den politischen Idealen, die ihn und seine Generation mal umgetrieben haben, und wird dabei schonungslos persönlich.

„Was bleibt von dir übrig, wenn du all deine prothetischen Maßnahmen abgelegt hast?“, fragt Therese Affolter als Sybille ganz zu Anfang Bert, den Traugott Buhre spielt. Unterm halb offenen Morgenrock ist sie nackt und schrecklich mager. Die Frage soll ihn kränken, doch am Ende weiß man, dass Sibylles Sehnsucht und Anstrengung, die Welt zu verändern, auch bloß eine prothetische Maßnahme war, um das eigene Elend zu übertünchen.

Peymann schickt die Zuschauer auf einen Beziehungshorrortrip, in die Abgründe menschlicher Schwächen und Gebrechen. Bis zur Pause seltsam unterkühlt, dass man ernste Zweifel hat, ob dieses Unternehmen glücken wird. Sekundenweise gefrieren die Szenen immer wieder zu Standbildern. Ähnlichkeiten mit Figuren von Strindberg oder Ingmar Bergman sind gewollt, aber Peymann und Kroetz haben sie fast auf Beckett-Format heruntergehungert. Und wie um jeden Realismusverdacht im Keim schon zu ersticken, hat Bühnenbildner Karl-Ernst Herrmann um die Szene einen goldenen Bilderrahmen gebaut, in den man sonst bloß röhrende Hirsche sperrt. Deutsches Drama eben. Ein goldenes Schildchen oben drüber zeigt die Szenentitel an: Nähe, Abbruchblutung, Kürettage usw. Erst nach der Pause kommt die Inszenierung richtig in Fahrt, und am Ende war man so gebannt, dass der Applaus nur zögerlich in Gang kam, dann aber doch in Jubel für die Schauspieler mündete.

„Alt werden ist nichts für Feiglinge“, hat Mae West gesagt, und Kroetz ist wohl der gleichen Meinung. Es gehört mehr Mut dazu, im Kleinen die Würde zu bewahren. Wer da versagt, der wird die Welt auch nicht verändern können.

Am Ende ist der Abend doch noch zum Erfolg für Peymann geworden.