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Mit Gott in die Nordkurve

Seit Jahren schielt das deutsche Kino neidisch auf die englische Sozialkomödie. „Fußball ist unser Leben“ beweist jetzt, dass sowas auch hierzulande klappen kann ■ Von Matti Lieske

„Aufwachen, Herr Dios, aufwachen“, ruft aufgeregt Hans Pollak, seines Zeichens glühender Fan von Schalke 04, und allein für diesen göttlichen Satz hat sich das Ansehen des Films „Fußball ist unser Leben“ von Regisseur Tomy Wigand schon fast gelohnt. Dios, das ist Pablo Antonio di Ospeo, Schalkes südamerikanischer Superstar, und wenn er gleich tatsächlich aufwacht, wird er eine böse Überraschung erleben. Für Hans Pollak (Uwe Ochsenknecht) ist Dios nämlich tatsächlich Gott, und da der allmächtige Ballbeherrscher in letzter Zeit ein wenig schlampt, hat sich Hans entschlossen, ihn, wenn nötig, auch mit brachialeren Mitteln, auf den Pfad fußballerischer Tugend zurückzuführen.

Filme, in denen skurrile Gestalten vorkommen und allerlei verrückte Dinge tun, sind seit einigen Jahren große Mode, und weil deutsche Filme stets ein wenig klotziger daherkommen als zum Beispiel englische, haben sich die Verfertiger von „Fußball ist unser Leben“ als Protagonisten ihrer Geschichte Fußballfans ausgesucht – möglicherweise die skurrilste Spezies Mensch, die im mittleren Europa derzeit zu finden ist. Auf jeden Fall eine Szene, die sich trefflich als Schauplatz einer Sozialkomödie der bizarreren Art eignet. Zwar tappt Tomy Wigand gelegentlich in die Sonnenallee-Falle, noch den vordergründigsten und vorhersehbarsten Gag unbedingt mitnehmen zu müssen, dennoch hat „Fußball ist unser Leben“ genügend Witz, Tempo, Einfallsreichtum, Tiefgang und exzellent besetzte Schauspieler, um den Film mühelos über die 90 Minuten (plus Nachspielzeit) kommen zu lassen.

Hans und seine drei Freunde aus dem Schalke-Fanclub „Dios Knappen Gelsenkirchen“ sind längst keine jugendlichen Schluckspechte und Haudraufs mehr, für die der Fußball eine vorübergehende Phase ihrer Sozialisation darstellt, sondern Fans, die den Sprung aus der Adoleszenz nie ganz geschafft haben. Es scheint, als habe irgendwann, als sie sich gerade in der Nordkurve des Parkstadions befanden, plötzlich die Turmuhr geschlagen und ein geheimnisvoller Zauber Hans, Mike, Theo und Bernie dazu verdammt, für alle Zeiten blau-weiße Klamotten zu tragen und ihr ganzes Wohl und Wehe an das dubiose Treiben einiger Fußballer und Vereinsfunktionäre zu ketten. Der Film macht deutlich, was die Vorteile eines Lebens als Fußballfan sind: Man kann sich bunt anziehen, ohne blöd angequatscht zu werden, hat viele Freunde und immer ein Gesprächsthema. Die Nachteile: Soziale Beziehungen sind nur zu Menschen möglich, die der gleichen Leidenschaft verfallen sind, genauer: der Leidenschaft zum gleichen Verein.

Hans Pollak ist der Prototyp dieser Spezies Fußballfan: Als er Vater wird, weilt er natürlich im Stadion, wird über Lautsprecher informiert und meldet die neugeborene Tochter nach dem Spiel sofort im Verein an. „Ich bete, dass sie nie Schalke-Fan wird“, wird seine Frau am Ende des Films stoßseufzen. Den halbwüchsigen Sohn triezt Hans unbarmherzig, damit dieser einst seinen Traum erfüllt und bei Schalke spielt, seinen Job hat er wegen der Fußballmacke verloren, seiner Frau aber lieber nichts davon erzählt. Im Fanclub führt er das große Wort, und seine größte Hoffnung ist, dass Dios endlich wieder ein Tor schießt. Dies nur in zweiter Linie, weil er zufällig das Haus der Familie darauf verwettet hat. Wichtiger ist, dass ein treffsicherer di Ospeo Schalke in den Uefa-Cup bugsieren könnte. Dass Dios das will, ein Schalker mit Leib und Seele ist, steht für Hans und seine drei Freunde außer Frage. Sie sind Fans der alten Schule, Relikte aus einer Zeit, als sich Fußballer noch für ihren Verein aufopferten und die Anhänger ihre Idole gelegentlich an irgendeiner Theke trafen, ein paar Bier mit ihnen tranken und am Ende gemeinsam Vereinslieder angestimmt wurden.

Bei Pablo Antonio di Ospeo sind sie da eindeutig an der falschen Adresse. Als sie den von einer tiefen Formkrise befallenen Star in seinem Stammlokal, einem Nobelitaliener, aufsuchen, um ihm ins Gewissen zu reden, wirken sie in ihren Schalke-Kutten so fehl am Platz wie eine Rückennummer auf einem Armani-Anzug. Weil Dios sie nicht mit ein paar Floskeln abspeisen kann, wird er ungehalten und erläutert, dass ihn die ganze „Schalke-Scheiße“ nicht interessiere und er sowieso bald zu Inter Mailand gehe. Dann landen die vier entsetzten Eindringlinge unsanft auf der Straße, und Dios gönnt sich auf den Schreck noch ein Näschen Koks.

Der Figur des Pablo di Ospeo ist anzumerken, dass sich Tomy Wigand und seine Drehbuchautoren ausgiebig mit Diego Maradona befasst haben. Dios ist Argentinier, ein begnadeter Fußballer, liebt das Kokain und die Frauen, und er hat ein schwaches Herz – sowohl physiologisch, als auch, was die Liebe zum jeweiligen Verein betrifft. Auf Schalke ist so etwas unverzeihlich, und daher findet sich di Ospeo am nächsten Morgen auch im Keller von Hans Pollak wieder. Das turbulente Märchen von der wundersamen Läuterung aller Beteiligten kann seinen Lauf nehmen. „Aufwachen, Herr Dios, aufwachen!“

„Fußball ist unser Leben“. Regie: Tomy Wigand. Deutschland 1999, 97 Min. Mit Uwe Ochsenknecht, Oscar Ortega Sánchez, Ralf Richter, Marita Marschall, Yves Eigenrauch.

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