InFußballland

Christoph Biermann

Jürgen Wegmann trainierte sein verletztes Knie an einer dieser absonderlichen Maschinen, mit denen die maladen Körper der Profis wieder fit gemacht werden für den Kampf um Tore und Siege. Dabei schummelte er ein wenig wie ein Schüler, der seine Klassenarbeit mit Hilfe eines Spickzettels bestehen will, aber Josef sah das, und als sein Therapeut scheuchte er ihn lächelnd in die nächste Runde des Kampfs gegen die Apparatur. Einen letzten Angriff auf die Strafräume des bezahlten Fußballs wollte Wegmann damals unternehmen, als er längst weit unten angekommen war und bei Mainz 05 den Vertrag eines Tagelöhners unterschrieben hatte, der ihm Bezahlung nur zusicherte, wenn er spielte. Doch auf dem holprigen Grund eines Trainingsplatzes hatte er sich gleich verletzt, die Ärzte ihm nicht recht geglaubt und zu spät hier in die Behandlung geschickt.

Wenn von Jürgen Wegmann die Rede ist, bricht unter Fußballfreunden meist Heiterkeit aus, denn der Stürmer gilt als lebender Beweis für die Behauptung, dass Kicker nicht ganz helle im Kopf sind. Gerne wird dann getratscht, dass Wegmann zu dumm gewesen sei, sich ein Auto zu kaufen oder eine Wohnung zu mieten und er viel seinem Freund und ehemaligen Mannschaftskameraden Frank Mill zu danken habe, weil dieser ihm die Dinge des täglichen Lebens abgenommen habe. Zudem werden seine längst dem ewigen Zitatenschatz der Bundesliga zugehörigen Zitate unter großem Gelächter hervorgeholt.

Da ist allem voran seine Selbstbeschreibung, „Ich bin giftiger als die giftigste Kobra“, die ihn für alle Zeiten zu Kobra-Wegmann gemacht hat, aber natürlich Ende der achtziger Jahre kein Ausdruck von Dummheit gewesen ist, sondern ein visionärer Vorgriff auf das Zeitalter des Eigenmarketings und überdies nun wirklich nicht unoriginell. Gar nichts zu lachen gibt es auch über seine wunderbare Sottise, „Erst hatten wir kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu“, mit der er einst einen wenig erfolgreichen Spielausgang kommentierte. Den feinen Unterschied zwischen „kein Glück“ und „Pech“ erkannt zu haben, dazu gehört eine gereifte Weltsicht, die alle jene Schenkelklopfer, die meinen, sich über Wegmann erheben zu können, nicht einmal erahnen. Der zentrale Ausspruch im Werk des großen Bundesliga-Esoterikers ist dann nachgerade atemberaubend. „Wo ein Vorteil ist, ist auch ein Nachteil“, wog er seine Aufstellung nach Spielen auf der Ersatzbank völlig richtig ab. In einer Zeit reduziert linearen Denkens ist diese holistische Betrachtung von solcher Tiefe, dass sie mir längst ein treuer Begleiter in allen Lebenslagen geworden ist.

Josef mochte Wegmann besonders gern. Einerseits war die Kobra ein guter Patient, dem er ein besonders feines Gespür für die Befindlichkeit seines Körpers attestierte. Josef rührte aber auch die Verletzlichkeit und Verlorenheit eines Spielers, der in seinen Mannschaften meist ein Außenseiter geblieben war und das mit lustigen Sprüchen zu kaschieren versucht hatte. Die Bemühungen schlugen trotzdem fehl, Jürgen Wegmann zumindest für Mainz 05 und ein paar Mark in der zweiten Liga fit zu machen. Wenn ich mich recht erinnere, spielte er dort kein einziges Mal mehr, seine Karriere war beendet und von ihm lange nichts mehr zu hören.

Gut sechs Jahre dürften seitdem vergangen sein. Auch Wegmanns nicht unorigineller Versuch, als Schiedsrichter in die Bundesliga zurückzukehren, verlief sich irgendwo in unteren Klassen. So muss man es Borussia Dortmund hoch anrechnen, dass der Klub ihm irgendwann zumindest einen bescheidenen Job in ihrem Fan-Shop gab. Aber schließlich war das auch das Mindeste, denn Wegmanns Tor in der letzten Minute des ersten Relegationsspiels 1986 gegen Fortuna Köln bewahrte Borussia vor dem Abstieg und machte die späteren Triumphe erst möglich. Und wir sollten an die Kobra endlich als einen der Weisen vom Rande des Alltags denken, dessen Aphorismen von schlichter Größe waren wie sonst nur die von Sepp Herberger.

■ Wir sollten an die Kobra als einen der Weisen vom Rande des Alltags denken