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„Norderstedt ist eine gute Ecke“

■ St. Paulis Ex-Talent Jens Scharping trifft beim Comeback-Versuch auf alte Bekannte

Die La-Ola-Welle vor der Norderstedter Fankurve genoss der Mann mit der Nummer elf. „Spannung und Adrenalin sind wieder da“, atmete der neue Stürmer des 1. SC Norderstedt am Sonnabend nach dem 2:1 gegen Nordhorn erleichtert auf.

Viel Geduld war nötig, ehe Jens Scharping wieder Grund zur Freude hatte. Zuletzt spielte er im Mai 1999: eine Einwechslung fünf Minuten vor Schluss. Da konnte er vor sechs Tagen in Norderstedt – nach 88 Minuten mit Applaus verabschiedet – eher zufrieden sein, „obwohl ich das eigentlich nie bin, wenn ich kein Tor gemacht habe“.

Morgen will Scharping gegen alte Bekannte für umfassende Zufriedenheit sorgen: Der SCN tritt bei St. Paulis Amateuren an (14 Uhr, Sternschanze). „Ein besonderes Spiel“, blickt der Neu-Holsteiner voraus, „aber einige Brisanz ist für mich draußen, weil nicht am Millerntor gespielt wird.“ Dort feierte Scharping seine größten Erfolge. Vom Eimsbütteler TV 1993 als Teenager zu St. Paulis Amateuren gekommen, stürmte das Talent im Jahr darauf bereits für das Profi-Team. Gemeinsam mit Youri Savitchev schoss er den FC 1995 für zwei Jahre in die Erste Liga zurück.

Doch dann stagnierte „Gerdl“, wie man ihn wegen der Ähnlichkeit mit Gerd Müller in Statur und Spielweise nannte. Trainer Gerd Kleppinger warf ihm vor, er verschleudere sein Talent, 1998 muss-te Scharping nach Oberhausen wechseln. Vorbei die Tage, als die Gegengerade rhetorisch „Wenn Scharping es nicht kann, wer kann es dann?“ fragte. Seine 80 Kilo mitsamt dem leicht ausladenden Gesäß, in guten Zeiten gerühmt, weil der Strafraum-Spezialist den Ball damit exzellent abschirmen konnte, gerieten nun zum Handicap.

In Oberhausen ging es nur noch weiter abwärts. Schlechte Bewertungen, hohe Verletzungsanfälligkeit, Stammplatz auf der Tribüne – im vergangenen Sommer dann die Kündigung: Scharping saß da, ohne Engagement, ohne Perspektive. „Der Ruf war weg“, bilanziert er heute, „und es kam einfach kein Anruf.“ Eine Phase, in der Erinnerungen an das Millerntor eine Be-lastung waren. „Wenn keiner dich haben will, denkst du schon an die Zeit zurück“, räumt Scharping nos-talgische Anwandlungen ein. Doch die seien passé, seit Norderstedt ihn in der Winterpause verpflichtete. Alte Bekannte trifft er auch dort. Mit Dirk Dammmann und Thomas Seeliger kicken zwei alte FC-Profis beim Drittligisten, und Coach Kurt Hesse kennt Scharping noch als Co-Trainer der St. Pauli-Amateure. Was Wunder, dass der 25-Jährige auch in Norderstedt „Gerdl“ gerufen wird.

Eine letzte Reminiszenz an seine Glanzzeit? An ein Profi-Comeback verschwende er keine Gedanken, so Scharping. Erstmal gelte es, sich für die neue Regionalliga zu qualifizieren. „Wir können es noch schaffen“, erklärte der Neuzugang noch vor seinem ersten Spiel, und dass er vom SCN in der ersten Person Plural sprach, hat ihm einige Sympathien eingebracht.

Gefühle, die zurzeit auf Gegenseitigkeit zu beruhen scheinen. Scharping, der zunächst bei einem Freund untergekommen ist, hält nach einer Wohnung in Norderstedt Ausschau. „Das ist eine gute Ecke“, demonstriert der zurückgewonnene Quittje Trabantenstadt-Nähe, „und ich habe es dann nicht so weit zum Training.“

Folke Havekost

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