: Sondermüll im Vogelschutz-Gebiet
■ 90.000 Tonnen Sondermüll wurden zu einem „Landschaftbauwerk mit besonderer Bedeutung“ aufgeschichtet / Die Umweltbehörde musste jetzt die Staatsanwaltschaft einschalten
Seit ein paar Tagen herrscht Baustopp an dem „Landschaftsbauwerk“ in der Hemelinger Marsch. Um den riesigen Berg aus frisch aufgeschichteter Erde ist kilometerlang ein Zaun gezogen. Dieser schützt keine braune Erde, sondern das, was unter der Erde verdeckt wurde: Hier dürfen eigentlich nur Bauschutt und anderer unbedenklicher Müll aus der benachbarten alten Tongrube aufgeschichtet werden. Jetzt hat aber die Staatsanwaltschaft den Fall auf dem Tisch. Die Umweltbehörde geht davon aus, dass auch anderer Müll hier verbuddelt wurde, der als „Sondermüll“ auf eine genehmigte Deponie gebracht werden müsste. Pikant an dem Fall: Verantwortlich ist die Bremer Wirtschaftsfördergesellschaft, die als Eigentümerin den Müll ordnungsgemäß entsorgen muss. Dem Mitarbeiter der Umweltbehörde, der schon für den Skandal-Fall „Hansetor“ verantwortlich war, ist die Projektleitung für das Landschaftsbauwerk in der Hemelinger Marsch entzogen worden, weil die illegale Giftmüll-Ablagerung monatelang mit seinem Wissen geschah.
Beim Umweltressort will man eigentlich gar nichts zu dem Fall sagen. Richtig sei, bestätigt Sprecher Olaf Joachim, dass der Staatsanwaltschaft offiziell Mitteilung gemacht wurde. Es gehe um 90.000 Tonnen möglicherweise rechtswidriger und illegaler Giftmüll-Deponierung.
Dass das Gebiet der EU als schutzwürdig im Sinne der europäischen Vogelschutzrichtlinie gemeldet worden war, hatte 1995 das Wirtschaftsressort dazu veranlaßt, den Krach und das Ende der Ampel-Koalition einzuläuten. Für das Wirtschaftsressort war der Vogelschutz immer ein Dorn im Auge, bis heute hat die EU allerdings den Schutzstatus dort nicht aufgehoben. Entscheidend ist nämlich, ob tatsächlich schützenswerte Vögel vorhanden sind. Gegen den damals für die Anmeldung zuständigen Umwelt-Staatsrat Uwe Lahl hatte Bremens Bürgermeister ein Disziplinarverfahren wegen „Schädigung der Stadt“ eingeleitet, das im vergangenen Jahr aber ohne Aufhebens eingestellt werden musste: Das Umweltressort war aufgrund der Rechtslage verpflichtet, so bestätigte das Disziplinarverfahren, das Vogel-Vorkommen der EU zu melden.
Schützenswerte Vögel können heute auf dem Schlammberg allerdings nicht mehr brüten. Zudem wird die Staatsanwaltschaft prüfen müssen, welche Gefahren für das Grundwasser von der illegalen Giftmüll-Ablagerung ausgehen. „Nach der Plangenehmigung vom 2.6.1998 darf in der Deponie nur Bauschutt, Bodenaushub und asbesthaltiges Material aus der Hemelinger Marsch abgeladen werden“, stellen die Grünen fest – und fragten den Senat ganz förmlich, ob die vorgegebenen Grenzwerte eingehalten werden. Das war am 20. Januar. Obwohl die Fachleute im Umweltressort die Fragen aus dem Kopf beantworten könnten, bat der Senat darum, die Fragen erst im März beantworten zu müssen.
Die Grünen, die die Entstehung der Sondermülldeponie im Vogelschutzgebiet mit Skepsis verfolgen, hatten im Dezember Akteneinsicht im Umweltressort beantragt. Am 22. Januar wurde die Akteneinsicht bewilligt. Merkwürdigerweise datiert vom 23. Januar, wie die Abgeordnete Karin Mathes im Nachhinein feststellen musste, ein „Planänderungsantrag“ zur Genehmigung der Ablagerung von gefährlicherem Sondermüll als bisher erlaubt. In Unkenntnis dieser Vorgänge hat die Bürgerschaft am 25. Januar noch die Sondermüll-Deponie zur „Fläche mit besonderer landschaftspflegerischer Bedeutung“ erklärt. „Die Lyrik und Benutzung von Tarnnamen ist kaum noch zu übertreffen“, sagt Karin Mathes. K.W.
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