: Zen und die Kunst des Kufenkratzens
Wenn sich die deutsche Nachwendegeschichte im Eis spiegelt: Im Panorama der Berlinale läuft Pepe Danquarts erstklassiger Dokumentarfilm „Heimspiel“ über das Eishockeyteam der Eisbären Berlin ■ Von Thomas Winkler
Es dauert nicht lange. Die Fans skandieren „D-Y-N-A-M-O“, und es läuft einem kalt den Rücken runter. Dazu muss man nicht Ostler sein. Dazu muss man nicht einmal Eishockey-Fan sein, nicht mal Sportfan. In „Heimspiel“ ist man trotzdem mittendrin. Pepe Danquardt, berühmt geworden durch den Oscar für seinen Kurzfilm „Schwarzfahrer“, hat einen Dokumentarfilm gemacht über den Eishockey-Klub EHC Eisbären Berlin, den seine Fans, wenn es knapp steht und spannend ist und unbedingt ein Tor her muss, immer noch im Chor so nennen, wie er früher einmal hieß: Dynamo.
Natürlich hat Danquart nicht nur einen Film über Eishockey gemacht. Er hat gemacht, was in den USA schon lange gang und gäbe ist: Den Sport nicht nur als für sich allein stehendes Massenphänomen zu begreifen, sondern als gewichtigen Teil der Alltagskultur. Sport, so Danquart, kann „Transportmittel“ sein für gesellschaftliche und politische Entwicklungen, das einen „besonderen Blick auf Geschichte liefert“.
„Dy-na-mo, Dy-na-mo“ schallt es aus hunderten von Kehlen, zurückgeworfen und verstärkt durch die Wände des legendären Wellblechpalastes in Hohenschönhausen. Die Geschichte der Eisbären, die Fastpleite nach der Wende, die auch handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Westfans, die Umbenennung der Sponsoren zuliebe, das trotzige Beharren der Fans auf der Ostidentität, das alles ist mehr als nur ein Spiegelbild der Geschichte dieses Landes in den letzten zehn Jahren. Es ist ein „Mikrokosmos“, in dem allwöchentlich der „Kampf des Ostens gegen den Westen“ (Danquart) noch einmal geschlagen wird. Mit einem wichtigen Unterschied: Hier kann der Osten auch mal gewinnen. Und ob gewonnen oder verloren wird, immer hallen die fantasievollsten Sprechchöre der Republik durch die Halle. Deshalb, so der kanadische Profi Mike Bullard, sind die Eisbären „ein Kult wie Grateful Dead“ geworden.
„Wir würden auch zum Kegeln gehen, wenn die in der ersten Bundesliga wären“, sagt der Einpeitscher mit der Trommel, „aber Eishockey ist auch der attraktivere Sport. Schon gut, dass wir nicht zum Kegeln müssen.“ Dafür wird auch Danquart dankbar sein. So kann er sich um Bilder dieses Sports bemühen, die man so noch nicht gesehen hat. Den, wie es so heißt, schnellsten und härtesten Mannschaftssport der Welt löst er vollkommen von Spannungsaufbau und Ergebnis. Stattdessen ästhetisiert er den Schweiß, die Anspannung in den Gesichtern, das Spritzen des Eises, den Flug des Pucks mit Superzeitlupen bis ins Extreme. Zu hören bekommt man manchmal nur noch das Kratzen der Kufen, das Knirschen des Eises, als sei Spitzeneishockey eine Zen-ähnliche Erfahrung. So hat man das tatsächlich noch nicht gesehen. Am ehesten erinnern diese Bilder noch an die Selbststilisierungen der nordamerikanischen Profiliga NHL. Danquart sagt –selbst, dass er – wenn schon – von den Werbeclips der Sportartikelindustrie inspiriert wurde, sich aber vor allem von den tristen TV-Übertragungen absetzen wollte. Vielleicht aber ist es Danquart auch gelungen, den Blick des Spitzenspielers abzubilden, wenn sich für ihn das komplexe, wahnwitzig schnelle Spiel auf der Höhe seines Können im Kopf verlangsamt.
Außerhalb der Halle, so sollte man meinen, holt einen der Alltag wieder ein. Danquart aber lässt sich ganz ein auf das Phänomen Eisbären und weigert sich, den Mikrokosmos zu verlassen. Keine Sozialromantik, keine Schlangen vor dem Arbeitsamt, stattdessen Kinder, die mit ihren Eishockey-Schlägern und einem Ball auch im Sommer zu Fuß auf den Straßen von Marzahn spielen.
Die Fans existieren nur auf dem Weg zum Spiel, während des Spiels und bei der Siegesfeier danach. Es gibt keine persönlichen Hintergründe, nicht einmal die Namen derer, die zu Wort kommen. Nur ihre erstaunliche Selbstironie, ihr Witz, ihre Anekdoten. Ihre Funktionen, ob Manager oder Materialwart, werden auch so klar. „Nicht einseitig, aber klar parteilich“, nennt Danquart seinen Film, legt aber Wert darauf, nichts zu verschweigen: „Hätte es Auseinandersetzungen gegeben oder neonazistisches Getobe, dann hätte ich das auch gezeigt.“ Trotzdem bleibt die Frage: Was ist die Wahrheit? Denn zu sehr überlagern die eigenen Vorurteile, seien sie nun negativ oder positiv, einen solchen Film. Wahrscheinlich muss man selbst hingehen. Nach Hohenschönhausen in den Wellblechpalast. Und „Dy-na-mo“ schreien.
„Heimspiel“. Regie: Pepe Danquart. BRD/Frankreich, 95 Min; heute, 19 Uhr, Zoo-Palast, 12. 2. 12 Uhr, CinemaxX 7
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