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Wien will Zwangsarbeiter entschädigen

Nach jahrelanger Ablehnung von Ansprüchen und als Reaktion auf Proteste kündigt die Regierung eine entsprechende Initiative an

Berlin (taz) – Österreich will die Zwangsarbeiter, die während des Zweiten Weltkriegs in der „Ostmark“ eingesetzt waren, entschädigen. Dies war der um allseitige Beruhigung des Auslandsprotests bemühten Regierungserklärung des neuen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel zu entnehmen. Schüssels Initiative bricht mit der jahrzehntelangen Praxis des österreichischen Staates bzw. der Firmen, die seinerzeit Zwangsarbeit nutzten. Bislang war stets argumentiert worden, Österreich sei das erste Opfer der Nazi-Aggression gewesen. Außerdem hätten insbesondere die Firmen, die KZ-Sklavenarbeiter beschäftigten, an die SS die entsprechenden Lohnkosten abgeführt. Jahrzehntelang hatten sich die österreichischen Gerichte dieser Argumentation angeschlossen.

Im Unterschied zur Lage in Deutschland ist es hauptsächlich der österreichische Staat, der für Entschädigungszahlungen in Frage kommt. Die großen nach dem „Anschluss“ errichteten Projekte der Infrastruktur, z. B. die Staudämme, bei denen Zwangsarbeiter schufteten, waren von vorneherein in Staatshand, ebenso eine Reihe von neu errichteten Rüstungsbetrieben. Andere Großbetriebe wurden nach 1945 nationalisiert. Deren Privatisierung ist erst jüngsten Datums, der Staat hält nach wie vor wichtige Beteiligungen.

Der Anteil von Zwangsarbeitern lag in den letzten Kriegsjahren in den Betrieben und in der Landwirtschaft noch höher als in Deutschland. Es war wie im „Altreich“ auch in der „Ostmark“ die Zwangsarbeit, die die Ernährung wie den Erhalt des industriellen Maschinenparks sicherte. Wie Reinhard Engel und Joanna Radzyner in der bislang einzigen Monografie zur Zwangsarbeit in Österreich resümieren, trug die Gesamtarbeit der ausländischen Zwangsarbeiter zum ökonomischen Take-off der Republik Österreich nach dem 2. Weltkrieg bei. Die beiden Autoren korrigieren damit das liebgewordene Geschichtsbild von der „Stunde null“ der angeblich ausgebombten österreichischen Industrie nach dem Zweiten Weltkrieg.

Seit kurzem beschäftigen zahlreiche der inkriminierten Betriebe Firmenhistoriker, um sich gegenüber den Auseinandersetzungen zu wappnen, die ihre Filialen auf dem Markt der USA erwarten. Auch eine unabhängige Historikerkommission mit weitgespannter Themenstellung (auch Sinti und Roma als Opfer sind eingeschlossen) ist eingesetzt worden, hat das Gros ihrer Arbeit beendet und wird deren Ergebnisse zum Ende des Monats ins Internet stellen. Über die Höhe eventueller Entschädigungszahlungen an die ehemaligen Zwangsarbeiter war nichts in Erfahrung zu bringen.

Bislang hatte sich nur die österreichische Credit-Anstalt (CA) im Rahmen des internationalen Class-Action-Vergleichs von Bank- und Versicherungskonzernen vom letzten Herbst zu Zahlungen bereit erklärt. Dieser Vergleich schließt aber nur 200 weitere Firmen ein, an denen die CA während des Zweiten Weltkriegs beteiligt war.

Wie gestern bekannt wurde, ist jetzt vor einem New Yorker Gericht Klage gegen weitere 100 österreichische Firmen wegen Zwangsarbeit und Arisierungen erhoben worden. Bereits im Dezember hatte der Rechtsanwalt Georg Zanger, Vertreter von 20.000 im „Verband durch das Dritte Reich geschädigter Polen“, gedroht, die Republik Österreich zu verklagen, „wenn es nicht anders geht“. Christian Semler

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