„Lehrer ist nicht mehr der große Zampano“

Axel Schwarze berät als Supervisor Lehrer, die unter der Gewalt von Schülern leiden

taz: Seit dem Mord an einer Lehrerin in Meißen wird schulische Gewalt öffentlich diskutiert. Nur von Seiten der Lehrerinnen und Lehrer ist kaum etwas zu hören. Woran liegt das?

Axel Schwarze: Die Kollegien sind überaltert. Viele ältere Lehrer versuchen sich über die verbleibende Zeit hinwegzuretten. Ihre Perspektive heißt Altersteilzeit oder Pension. Sie wollen sich nicht mit einem Thema beschäftigen, das verlangt: Ich muss mich ändern, mich fortbilden und mich mit diesen bedrohlichen Schülern auseinander setzen. Das Problem wird einfach weggeschoben. Vor allem an Gymnasien existiert Schülergewalt nicht als Thema der eigenen Schule.

Was veranlasst Schüler, ihren Paukern Gewalt anzudrohen oder sogar sie anzuwenden?

Der Hauptgrund ist Kontaktlosigkeit. Es beginnt damit, dass Schüler die Lehrer provozieren und so in der Klasse ihr Publikum haben. Dadurch können sie sich ein Stück Größe besorgen. Zugleich dienen Waffen als Schutz. Schule, so wie sie heute ist, erfahren Schüler oft als Einbruch in die Intimssphäre. Sie werden das ganze Jahr beurteilt. Manche reagieren auf diesen Übergriff, indem sie sich bewaffnen.

Seit den Vorfällen in den USA und Meißen wird immer wieder über Gewalt gegen Lehrerinnen und Lehrer berichtet. Sind da Nachahmungstäter am Werk?

Die Lehrermorde in Amerika und hier sind von der Presse ausführlich dargestellt worden. Die Schüler spüren, dass da eine Möglichkeit zur Selbstdarstellung besteht und dass die Lehrer verunsichert sind. Es gibt deshalb eine Tendenz, mit dieser neuen Macht zu spielen. Das Gewaltproblem an Schulen ist jedoch umfangreicher und die Gründe dafür werden seit Jahren diskutiert: die fehlenden Perspektiven der Jugendlichen sowie ihre Unzufriedenheit mit dem Schulalltag, den sie nicht mehr als zeitgemäß empfinden.

Wie sieht eine zeitgemäße Schule für Kids aus?

Die Schulen sollten im Kontakt mit der Gesellschaft ihre Ziele und ihre Methoden neu definieren. Es wird zum Beipiel immer noch viel Frontalunterricht absolviert. In Seminaren aus der Wirtschaft ist das völlig out. Die Menschen sollen am Lernprozess beteiligt werden. Der Lehrer ist nicht mehr der große Zampano. Er sollte das Lernen begleiten und auf die Schüler einzeln eingehen. Wir müssen auch wegkommen von dem Takt: jede Stunde ein neuer Lehrer. Das alles verlangt einen ungeheueren Umwandlungsprozess.

Wie reagieren Lehrerinnen und Lehrer auf Gewalt?

Sie reagieren verängstigt. Nach dem Mord in Meißen ist das Problem verstärkt in der Supervision aufgetaucht. Vor allem Frauen bringen das Thema ein. Sie sehen sich häufig körperlich unterlegen im Gegensatz zu einem Hühnen von Sportlehrer. Viele fühlen sich mit ihrer Angst vom Kollegium nicht ernst genommen. Aber auch von der Schulleitung. Ist ja klar, jeder Direktor möchte seine Schule als intaktes Haus des Lernens präsentieren.

Um der Gewalt an Schulen zu begegnen schlägt die GEW Streitschlichterprogramme vor. Reicht das?

Die so genannten Mediatorenprogramme sind ein guter Anfang. Es hat sich aber leider gezeigt, dass sie oft nur Einzelmaßnahmen sind. Sie werden mit großem Engagement von einzelnen Lehrerinnen und Lehrern an den Schulen gestartet. Aber dann ziehen die Kollegen nicht mit und irgendwann schlafen die Programme dann wieder ein.

Welchen Rat würden Sie Lehrerinnen und Lehrern geben, die in der Schule bedroht werden?

Zunächst Öffentlichkeit unter den Kollegen herstellen. Dann sollten sie sich an die Elternverbände sowie die Schülervertretung wenden. Schüler, die zu Gewaltexzessen neigen, werden abgeschreckt, wenn sie merken, es ist nicht mehr nur eine Sache von Lehrer XY und mir.

Interview: Isabelle Siemes