„Ich kam mir vor wie ein Tier“

■ Eine Prostituierte vor Gericht: Über Angst, Zeugenschutz und Schulden, die nie kleiner werden

Sie ist 23 und gelernte Friseuse. Aber sie arbeitet als Prostiutierte, in ihrem Heimatland Polen, aber lieber noch in Deutschland. Dass ein Hamburger Gericht Anfang 1999 eine Bewährungsstrafe wegen unerlaubten Aufenthaltes über sie verhängt und sie abschiebt, hindert sie nicht daran, sich wenig später einen falschen Pass ausstellen und über die grüne Grenze schleusen zu lassen. Im April ist sie wieder in Hamburg. Was hier passierte, erzählte sie gestern vor dem Hamburger Landgericht.

Hier sind zwei Männer des Menschenhandels und der Zuhälterei angeklagt. Die junge Frau berichtet von ihrer Arbeit in einem Bordell in der Hoheluftchaussee. „Ich kam mir vor wie ein Tier“. Sie hatte in einem Zimmer zu sitzen, ab und an kam ein Freier rein: Geschlechtsverkehr, immer so schnell wie möglich und immer für 50 Mark. Fünf- bis fünfzehn Mal pro Nacht. Danach wäre immer der eine der Angeklagten gekommen, hätte das Geld kassiert und außerdem jeden ihrer Schritte überwacht. Angeblich sollte sie Schulden abarbeiten. Erst 1000, dann 3500, irgendwann 10.000 Mark. Der zweite Angeklagte sei der Chef gewesen.

Beide hätten ihr nur 50 Mark am Tag gelassen. Als sie sich über die Arbeitsbedingungen beschwert, wird sie in ein Bordell nach Lübeck gebracht. Abzuhauen hätte sie sich nicht getraut. „Du wirst schon sehen, was dann mit dir passiert“, hätte der Chef gesagt. Was, wüsste sie nicht. „Die anderen Frauen haben erzählt, dass sie geschlagen wurden, wenn sie sich weigerten.“

Von Lübeck flieht sie wieder nach Hamburg und arbeitet auf eigene Rechnung. Wo? Sie erinnert sich nicht so genau. Sie geht zurück nach Lübeck und wird hier im Juli 1999 bei einer Polizei-Razzia festgenommen. Ihre Wahl: Strafverfahren und Abschiebung oder Aussage vor Gericht und Zeugenschutzprogramm. Sie entscheidet sich für Zweiteres. Deshalb ist sie noch hier, lebe jetzt mit ihrem Freund zusammen, arbeite nicht mehr als Prostituierte.

In der Verhandlung kritisieren die Verteidiger immer wieder, der Vorsitzende Richter solle die Zeugin frei erzählen lassen. Wenn er das tut, werden ihre Aussagen diffuser. Die Anwälte argwöhnen offenbar, dass nur die Aussicht auf das Zeugenschutzprogramm sie zur Aussage veranlasst hat. Ihr Schutz und die Suche nach der Wahrheit behindern einander. Rechtsanwalt Daum will den Nachnamen ihres Freundes wissen, um ihn eventuell zu vernehmen. „Zu den Männern, die mit ihrer Prostitutionsausübung zu tun haben, äußert sie sich höchst fragwürdig.“ Richter Luckow lehnt ab, „wenn sein Wohnort bekannt ist, ist auch ihrer bekannt.“

Der Prozess wird Montag fortgesetzt. Sandra Wilsdorf