: „Der Fußballgott sieht alles“
■ Interview mit Ewald Lienen, Erfolgstrainer des 1.FC Köln, über Respekt und Rassismus im Fußball, über Alkohol, Tabak, schlechte Vorbilder, seine politische Vergangenheit und über Scheißhausparolen
taz: Wann haben Sie eigentlich Ihr taz-Abo gekündigt?
Ewald Lienen: Hatte ich mal eins? Ich habe die taz immer mal gekauft. Aber Abo? Vielleicht kurz und vor über 15 Jahren.
Wir wollen wissen, was vom Linksaktivisten und angeblichen Liga-Agitator geblieben ist. Ist sich der politisch so aktive Mensch Ewald Lienen treu geblieben? Oder hat der „Schweinemarkt Fußball“ Sie versaut?
Ich arbeite daran, dass das nicht passiert. Genau derselbe bin ich sicher nicht geblieben. Ich will weiter zu mir selbst finden, um in mir zu ruhen, ohne stehen zu bleiben. Auch ich verändere mich, durch Lebenserfahrung. Aber ich stehe zu allem, was ich getan habe, gerne und mit Überzeugung.
Überprüfen wir das: Im „Bielefelder Stattblatt“, Ausgabe Juni 1977, sagt Ewald Lienen: „Mit zunehmender Popularität wird es immer schwieriger, man selbst zu bleiben. Das ist mir unheimlich unangenehm.“ Sie sind in Köln derzeit extrem populär!
Es ist was anderes, wenn man als junger Mensch plötzlich im Rampenlicht steht. Ich habe damals meine Form der Verarbeitung gesucht. Etwa indem ich keine Autogramme geschrieben habe. Ich habe mich sehr unwohl gefühlt, dass Menschen auf so oberflächliche Weise hofiert wurden. Für mich sind Identifikation wichtig, Selbstwertgefühl, dass ich mich in meiner Haut wohlfühle. Leider zählen oft nur Statussymbole, Äußerlichkeiten.
Dazu gehört auch Werbung. Lienen 1977: „Ich werde da bestimmt nicht mitmachen. Und wenn doch, werde ich das Geld für eine vernünftige Sache einsetzen. Nicht für mich persönlich ...“
Gegen Trikotwerbung kann ich mich heute nicht mehr wehren, auch als Trainer nicht. Ich habe einmal privat Werbung gemacht. Nervig ist das: Du läufst ja nicht nur als Litfaßsäule herum, sondern du musst auf Termine etc. Ich müsste mich sowieso mit dem Produkt identifizieren können. Und mit dem Geld würde ich woanders was Sinnvolles machen.
3. Zitat, taz-Interview 1985: „Ich sehe mich nicht so sehr als Fußballer, sondern als politischen Menschen ...“
Ich hatte lange Jahre traditionell große Probleme, meine eigene Rolle zu akzeptieren. Irgendwann habe ich damit meinen Frieden gemacht und fühl’ mich jetzt auch wohl damit. Man darf Menschen nicht generell nach ihrem Beruf, ihrer Funktion beurteilen. Damals habe ich mich neben dem Fußball politisch sehr engagiert: 1983 in Gladbach die Ortsgruppe gegründet der Sportler für den Frieden; später die Spielergewerkschaft, dann Landtagswahlkampf für die Friedensliste. In der taz stand dann einmal, ich hätte „den Ball weit übers Tor Richtung Düsseldorfer Landtag geschossen“, nur weil es mir aufgrund meiner mangelnden Schusstechnik nicht gelang, den Ball im Tor unterzubringen ...
Ich möchte einige Stichworte nennen: „Das blaue Hemd“.
Das ist ein Hemd, das ich heute anziehe bei jedem Spiel. Das ist Aberglaube, und ich bin ein Gewohnheitsmensch. In Köln wird halt Kult drum gemacht.
Im „Express“ steht jeden Tag eine kleine Rubrik „Neues vom Hemd“. Man macht Geld mit Ihnen: Es gibt „Ewald-Hemden“ für 59,90 Mark.
Jetzt auch schon für 49,90!
Was? Ihr Wert sinkt!
Vielleicht wird es noch billiger. Ich verfolge das amüsiert, es ist witzig für die Fans. Es gibt eine neue Identifikationschance. Aber ich kann und will all das nicht beeinflussen, auch wenn da viel Bohei drum gemacht wird. Wie auch?
Ausziehen!
Warum? Es gibt Wichtigeres.
Nächstes Stichwort: „Zettel-Ewald“. Nervt Sie der Begriff?
Vor ein, zwei Jahren noch. Ich mache mir seit zehn Jahren Notizen, uralte Sache. Aber es gibt immer wieder Journalisten, die neu sind in dem Zirkus und dann schlau fragen: Herr Lienen, mir ist da etwas aufgefallen: Diese Zettel, was schreiben sie da eigentlich?
Die taz weiß es: Er malt das Spielfeld ab, macht sich akribische Notizen über den Gegner ...
Ja, nur ganz wenige sind eingeweiht! Aber wegen der Zettelfragerei werde ich keine Energie vergeuden und meine Nerven unter Kontrolle halten.
Was nicht immer gelingt: In Chemnitz haben Sie sich heftig den Kopf am Trainerbankdach gerumst, als Sie wutentbrannt aufgesprungen sind, weil die Fernsehfuzzis so nahe gekommen sind und Sie sie vernehmlich angeraunzt haben: „Kannst du nicht die Kamera woanders hinhalten!?“ Stichwort: die aufdringlichen Journalisten!
Es gibt Grenzen. Da werde ich immer allergisch sein. Wenn die Kameras auf alles draufhalten, gleich neben mir, dann fühle ich mich in meiner Intimsphäre verletzt. Das ist respektlos. Ich bin doch nicht Instrument der Medien!
Nächstes Stichwort: Körnermühle. Gibt es die noch?
Ja, schon, aber ...
Aber nicht im Trainingslager?
Nein. Ich habe sie als Spieler benutzt, um mir meinen Frischkornbrei zu machen. Und habe sehr gute Erfahrungen gemacht.
Beim Trainer Lienen gilt heute, so ist zu lesen: Trennkost!
Die Kölner Medienlandschaft ist sehr üppig. Und die Jungs haben große Schwierigkeiten, ihr Blatt zu füllen ...
Aha, wieder die Journalisten!
Moment! Ich weiß, die sind ganz schön unter Druck. Ich beneide die nicht um ihren Job. Alle wollen was Besonderes. Und so tauchte mal das mit der Trennkost auf. Als allein selig machende Sache wäre es völliger Blödsinn. Ich versuche die Spieler über Ernährung zu informieren, wir geben Tipps, diskutieren über Brennwertspeicher, Kohlehydrate etc. Wer Topleistungen bringen will, muss sich mit seinem Körper intensiv auseinandersetzen. Und es gibt andere Themen: Vollwertkost, Süßigkeiten, die Genussgifte.
Und Alkohol!
Das ist selbstverständlich. Wer als Leistungssportler jeden Tag eine Flasche Bier trinkt, muss sich einen anderen Job suchen!
Gegenbeispiel: Neulich erzählte mir der Basketballer Henning Harnisch von der Europameisterschaft 1993. Als die Deutschen donnerstags das Viertelfinale gewannen, haben sie abends ordentlich einen gebechert. Dann samstags Halbfinale, wieder gewonnen, abends wieder kräftig gefeiert. Und am nächsten Tag sind sie auf den Platz gegangen – und Europameister geworden.
Als was, als Basketballer?
Ja, nicht etwa Minigolf.
Na ja, es wird ja auch erzählt von den lustigen dänischen Fußballern 1992, die hätten sich nur bei McDonald’s ernährt, Cola gesoffen und dann das Turnier gewonnen. Ob das wirklich stimmt? Das sind doch Scheißhausparolen.
Und das Gegenbeispiel Basketball? Alle Argumente sprechen gegen Alkohol, aber was ist mit dem großen Push im richtigen Moment, dem kurzen Rausch des Zusammengehörigkeitsgefühls.
Vielleicht wären sie ohne Alkohol viel klarer Europameister geworden. Müßig, darüber zu philosophieren. Fußball ist Ausdauersportart. Da macht Alkohol keinen Sinn. Basketballer können ja auch öfters mal auswechseln. Da powert man kurzfristig, kann dann auch Pausen machen.
Und Zigaretten?!
Rauchen ist bei einem Profisportler völlig daneben. Profisportler sind in einer priviligierten Situation, verdienen auch in der 2.Liga gutes bis sehr gutes Geld, haben einen Beruf, der Spass macht. Da haben alle eine Verpflichtung gegenüber den Fans. Da muss ich, verdammt noch mal, dankbar sein und bescheiden und ein Vorbild. Die Fans sind doch unsere Existenzberechtigung. Die finden bei uns ein Stück Heimat. Und da kann ich als Spieler nicht durch die Gegend laufen, als ob ich der Viertelvorzwölfte bin. Ein Teil des Respekts den Fans gegenüber ist, dass ich mich nicht als Freizeitsportler bewege, der vor dem Spiel noch eben die Zigarette ausmacht. Wer nicht kapiert, dass er Profi sein darf, mit dem arbeite ich nicht, der kann nach Hause gehen.
Puuuuuh!
Ich merke sofort, wenn jemand qualmt, trinkt, sich unvernünftig ernährt oder sonstwie unprofessionell benimmt. Da reagiere ich total allergisch. Eigentlich dürften nur die nach oben kommen, die würdige Repräsentanten ihres Berufszweiges sind. Und nicht als Hasardeure über den Platz laufen, Millionen kassieren und unseren schönen Sport diskreditieren.
Sie haben Namen im Kopf?
Sicher, aber die Ähnlichkeiten zu lebenden Personen muss sich jeder selbst zusammen reimen. Und dass Sie hier einfach so eine rauchen, tut mir wirklich leid, das ist eine eine böse Belästigung ...
Tschuldigung, aber wir sind in einem öffentlichen Raum, und ich puste in die andere Richtung.
Hab’ ich gemerkt. Aber Sie gehen stillschweigend davon aus, dass es mir Spaß macht, diesen ganzen Rauch mit zu inhalieren. Wenn wir uns nicht kennen würden, wäre ich gegangen. Das ist eine totale Respektlosigkeit ...
Anderes Stichwort: Rassismus im Fußball, alltägliche Pöbeleien gegen dunkelhäutige Spieler, das „Negersaft“-Theater um Thorsten Legat. Sie wollten darüber eine Diskussion anzetteln, aber man hat nicht viel gehört.
Vor 20 Jahren wurde viel mehr Blödsinn in der Kabine gemacht. Späße auf Kosten von anderen, immer und immer wieder. Schlimm war das, extrem. Aber wir haben uns weiterentwickelt und sind ernsthafter geworden. Was mich furchtbar aufregt, sind die Urwaldgeräusche, wenn ein farbiger Spieler aufläuft. Solche Fankultur will ich nicht. Diese Leute sollen wegbleiben. Das ist dem Fußball unwürdig. Aber weil ich mich gegen diese Uh-Uh-Uh-Schmähungen aufrege, habe ich ja nicht gleich eine Initiative gegen rechts starten wollen, wie es in den Medien hieß. Als würde ich jetzt wieder anfangen, politische Bewegungen zu gründen. Aber ich sage auch unseren Fans, es würde mich unglaublich stören, wenn das in unserem Stadion passieren würde. Wenn ich das hinbekomme, Begeisterung ohne Diskriminierung, dann bin ich an der Sonne. Oft ist es ja so, dass ein verunglimpfter Spieler das entscheidende Tor schießt. Ich glaube an den kleinen Fußballgott. Der sieht das und bestraft das.
Aachens Fans hatten nach Köln ein riesiges Transparent mitgebracht: „Kölsch macht schwul“. Darüber hat sich die halbe Tribüne schlapp gelacht, gerade die Kölner. War das okay?
Völlig daneben, jenseits aller Grenzen. Es gibt in Köln viele Homosexuelle, und ich kenne selbst viele, das sind fantastische Leute, die kreativsten, respektvollsten Menschen der Welt. Ich kann solche Respektlosigkeiten in keiner Weise akzeptieren.
Die Kölner Mentalität scheint Ihnen sonst aber selbst als Ostwestfalen zu gefallen. Als was gehen Sie Karneval?
Am liebsten würde ich eine Woche ins Trainingslager fahren.
Tabellenführer 1.FC Köln hat sensationelle 40 Punkte zur Saisonhalbzeit. Glückwunsch! Der Klassenerhalt scheint gesichert!
Noch ist unser erstes Saisonziel nicht erreicht. Ich glaube, ein oder zwei Punkte fehlen noch.
Interview: Bernd Müllender
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen