: Die Südtribüne will mehr Opfer
Auch nach dem Rausschmiss von Trainer Skibbe ist Dortmunds heftig umschmeichelteFan-Bastion nicht bereit, ein 1:1 gegen Ulm zu tolerieren ■ Aus Dortmund Markus Geling
Das Verhältnis der Fußballprofis von Borussia Dortmund zu den Fans ist nachhaltig gestört. Dies ist für die Verantwortlichen des Clubs um so dramatischer, als sie gerade erst Jungtrainer Michael Skibbe der lamentierenden Südtribüne geopfert haben. Und sich vor dem Spiel gegen den SSV Ulm um Harmonie bemüht hatten: Da präsentierte Stadionsprecher Norbert Dickel den Fans den neuen Trainer als einen der ihren: „Er wurde in Dortmund geboren und stand in seiner Jugend selbst auf der Südtribüne: Bernd Krauss.“ Einmal in Fahrt, lobte Dickel die Fans als „die besten der Liga“, woraufhin eine „Hommage an die Südtribüne“ über die Stadion-Leinwand flimmerte. Beeindruckender Schlusssatz: „Die Südtribüne – erweitert und ausgebaut für die, die den Fußball wirklich lieben.“
Die meist zitierte Fankurve Deutschlands nahm diese Form der Lobhudelei relativ gelassen entgegen – und pfiff nach 13 Spielminuten erstmals lautstark. Als sich weitere 70 Minuten später abzeichnete, dass der frühere Titelkandidat gegen den vormaligen Abstiegsfavoriten nicht über ein 1:1 hinauskommen würde, wurde das Publikum zornig. Die Fans sangen: „Wir haben die Schnauze voll.“ Sie sangen:„Scheiß Millionäre.“ Und praktizierten abschließend zusammen mit den nicht gerade feinfühligen Ulmer Spielern die „Welle“.
Der sichtlich aufgewühlte Krauss musste sich bei der Pressekonferenz denn auch erst dreimal kräftig räuspern, ehe er die richtige Stimmlage für sein Statement gefunden hatte: „Wenn man sagt, die kämpfen nicht, dann ist das Schwachsinn. Dat sind alles Parolen, die kann ich nich mehr hören“, so der 42-Jährige mit aufgesetzt wirkendem Pott-Idiom. „Wir spielen nicht gut Fußball, das ist richtig. Aber kämpfen tun wir.“
Verstehen das die Borussen-Fans? Carsten Weber hatte für diese Sätze nur ein ironisches Lächeln parat. „Da stimmt was mit dem Anspruch nicht. Jetzt erwarten die schon Applaus dafür, dass sie einen Hauch von Berufseinstellung zeigen“, meinte der Kunststoffschlosser, der die Pressekonferenz über das Stadion-TV verfolgte. „Mein Chef sagt mir was anderes, wenn ich dem sage: Hey, ich bin da. Wenigstens das. Kriege ich jetzt eine Gehaltserhöhung?“
Die Spieler fühlten sich zu Unrecht attackiert. „Das ist halt so heutzutage, dass man überall beleidigt wird. Damit muss man sich abfinden“, sagte Torwart Jens Lehmann. Jürgen Kohler meinte lapidar, dass „wir damit leben müssen“. Gut Fußball spielen klappt da nur bedingt. „Momentan ist es hier für die heimische Mannschaft schwieriger als für die auswärtige“, stellte Krauss fest.
Krauss’ Vorstellung, Ulm mit engagiertem Spiel über die Außenpositionen (Reina, Dede) und hohen Flanken auf Fredi Bobic und Heiko Herrlich unter Druck zu setzen, wurde nicht umgesetzt. Vor allem fehlte den Borussen ein Akteur, der auf dem Spielfeld den Rhythmus angab. Dazu waren weder Libero Stefan Reuter noch die Mittelfeldspieler Ricken und But in der Lage. Das 1:0 durch Heiko Herrlich (20.) entsprang denn auch einem verunglückten Rückpass von Ulms Ex-Dortmunder Uwe Grauer. Die Ulmer wirkten mit ihrem 4-4-2-System eingespielter und homogener. „Das war ein wichtiges Spiel für uns, weil wir auch auswärts einmal zeigen wollten, welche Fortschritte wir gemacht haben“, meinte Trainer Martin Andermatt. Torgefährlich war Ulm aber erst nach dem Ausgleich durch Tomas Bodog. Danach gab es bei den Borussen einen „Knacks“ (Krauss). Völlig verunsichert drosch etwa Lars Ricken bei einem Schussversuch das Leder so unglücklich in die Luft, dass der Linienrichter eine Flanke erkannte und daher auf Abseits entschied.
Bei Szenen wie diesen erinnert sich Borussen-Fan Manfred Arlt lieber an „das tollste Spiel, das ich je mit der Borussia erlebt habe. Das war 1984 in der Relegation gegen Fortuna Köln.“ Obwohl die Dortmunder danach Champions-League, Deutsche Meisterschaft und DFB-Pokal gewannen, schwärmt der Polizeibeamte immer noch von diesem Fight um die Bundesliga-Existenz. Das spricht gegen die These von den erfolgsverwöhnten Fans. Es deutet eher darauf hin, dass das traditionsbewusste Publikum ein viel tiefer liegendes Problem mit dem vor dem Börsengang stehenden Klub hat – was die Lösung nicht gerade vereinfacht.
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