Nebensachen aus Jakarta: Abgang eines Ministeriums
„Wie informiert die deutsche Regierung das Volk?“, fragt mich der Beamte plötzlich, der in den letzten zehn Minuten regungslos an seinem Schreibtisch vor sich hin starrte. Ich bin in den sechsten Stock des Informationsministeriums von Jakarta gekommen, um mich ordnungsgemäß zu akkreditieren, und warte jetzt in dem schummrigen Büro auf meine Pressekarte. „Wie die deutsche Regierung ...?, wiederhole ich ein bisschen verwirrt, und dann fällt es mir ein: „Sie gibt zum Beispiel eine Pressekonferenz. Dann steht es in den Zeitungen, oder die Leute hören davon in Radio und Fernsehen.“
Der Beamte, ein Mann in den Vierzigern mit gepflegtem Haarschnitt und kleinem Bauch, schaut auf: „Aber“, sagt er entsetzt, „dann macht die Regierung sich ja von Journalisten abhängig!“ „Ja“, antworte ich fröhlich. Mein Gegenüber fällt wieder in sich zusammen und schweigt.
Seine Melancholie ist verständlich: Er gehört zu den zehntausenden Staatsangestellten, die bis zum 31. März ihren Job verlieren werden. Denn zu den ersten Entscheidungen des neu gewählten Präsidenten Abdurrahman Wahid gehört die Abschaffung des Informationsministeriums, dass unter dem Regime des Diktators Suharto zu einer riesigen Krake herangewachsen war.
„So was brauchen wir nicht!“, hatte der in Indonesien nur „Gus Dur“ (Bruder Abdurrahman) genannte Regierungschef kurz erklärt und sich damit direkt in die Herzen der indonesischen und ausländischen Pressemenschen katapultiert. Kein Informationsministerium – das bedeutet, so hofften sie: keine schwarzen Listen unerwünschter Reporter mehr, keine Anträge in doppelter Ausführung, kein unterwürfiges Betteln und monatelanges Warten auf ein Journalistenvisum, keine für die Presse gesperrten Regionen ...
Vielleicht würden sogar, fragten sich die ausländischen Presseleute, künftig die ominösen Aktenordner von den staubigen Regalen verschwinden, die von dem zweifelhaften Fleiß der dort arbeitenden Beamten kündigten und auf deren Rücken „TAZ“, „FAZ“ oder auch „Le Monde“ stand?
Die dramatischen Veränderungen begannen allerdings schon früher, unter Wahids Vorgänger B.J. Habibie, der im Mai 1998 ins Präsidentenamt gerutscht war, nachdem Suharto nach schweren Unruhen zurücktreten musste. Habibie hatte – obwohl er ein politischer Zögling Suhartos war – eine bislang beispiellose Pressefreiheit zugelassen.
„Das mag ja richtig sein für Sie im Westen“, sagt der traurige Beamte, der noch nicht weiß, wohin er im April versetzt werden wird. „Der Präsident sieht einfach nicht ein, dass die Situation bei uns in Indonesien ganz anders ist: Bei uns kann man sich auf die Journalisten nicht verlassen. Und wer wird sich um das Volk kümmern, wenn es uns nicht mehr gibt?“ Ein großer Teil der Indonesier, fährt er fort, lebe in fernen Inselregionen, unerreicht von Zeitungen und Fernsehen, viele hätten noch nicht einmal ein Radio. Sie seien darauf angewiesen, dass mindestens einmal im Jahr ein Beamter des Ministeriums vorbeikomme und ihre Fragen beantworte, so wie es unter Präsident Suharto üblich war. Den ohnehin überlasteten Lehrern dürfe man diese Aufgabe nicht auch noch aufbürden. „Wer soll“, fragt er schließlich verzweifelt, „die Menschen beruhigen, wenn die nächste Sonnenfinsternis kommt?“Jutta Lietsch
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