: Zerschossene Logik
Kaputte Ballerspiele auf weißem Grund: Joan Heemskerk und Dirk Paesmans zeigen ihre CD-ROM „OSS“ auf der transmediale
Hier geht was kaputt. Prompt entfährt dem Techniker ein „Ah-oh“ aus dem Teletubbyland. Auf dem Screen an der Wand soll eigentlich digitale Kunst zu sehen sein, stattdessen gerät der Rahmen selbst aus den Fugen: Das Bild eines Desktops läuft von oben nach unten wie bei einem abstürzenden Fernseher, hält kurz an und transformiert sich schließlich in ein ekstatisches Flackern.
Joan Heemskerk und Dirk Paesmans, besser bekannt unter ihrem Pseudonym Jodi, bleiben derweil ungerührt hinter ihrem Rechner auf dem Podium sitzen. Sie springen durch die Anwendungen ihrer CD-ROM „OSS“, die mit den Grundlagen des Betriebssystems, Ordnerstrukturen, Icons und dem Bildschirm selbst spielen, und machen dabei Witze, die auch keiner versteht.
Jodis Performance am Samstag entwickelte sich schon nach fünf Minuten zum absehbaren Highlight der transmediale. Dies ist 2000, nicht 1917, und acht Dekaden moderner Kunstgeschichte ist es wohl zu verdanken, dass hysterische Lachanfälle und entnervte Publikumsfragen nach dem Sinn des Ganzen den historischen Krawall ersetzen. Jodi sind das Netzkunstäquivalent zu den Soundextremisten der Wiener Schule. Wo etwa Farmers Manual vorgefundene Sounds bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln, Schichten von Beats übereinander türmen und reinen digitalen Noise dem masochistischen Vergnügen des Zuhörers überantworten, knacken Jodi die visuellen Codes von Technokultur.
Es brennt auf der Retina, wenn Jodi etwa die unter Teenagern beliebten Ballerspiele „Quake“ oder „Spear of Destiny“ ihrer Horrorfilmästhetik entkleiden und auf grobe schwarze und weiße Pixel reduzieren. Während Joan, die in den Codes versunkene Programmiererin, durch die Labyrinthe der mutierten Version von „Quake“ navigiert, blicken die Anwesenden lediglich in verwirrende Moirés, die jede Op-Art als traditionalistische Manifestation des Schönen erscheinen lässt. Partner Dirk, der Grafiker und Kommunikator, ahmt derweil die Uhh-Sounds des unveränderten Quakesoundtracks nach oder kommentiert das Abschließen eines Levels von „SOD“ mit einem trockenen „Bonus!“.
Selbst wer diese Spiele schon einmal im Original gesehen hat, erkennt sie in den reduziert-abstrakten Rechtecken vor weißem Nichts kaum wieder. Der wohlwollende Rest des Publikums kann nur konzedieren: „Wir verstehen, dass wir nichts verstanden haben, und das ist wunderbar.“
Dabei spielen Jodi mit der Paranoia, die jeder kennt, der mit Rechnern arbeitet oder im Netz kommuniziert. Vor einigen Jahren täuschten sie Besuchern ihrer Website die feindliche Übernahme ihrer Rechner durch bösartige Jodi-Codes vor. Dem ersten Schrecken des Users folgte aber schnell das Vergnügen am Kontrollverlust. Arbeiten wie „OSS“ sabotieren die längst selbstverständlichen Logiken von Benutzerführung und Interface. So zerren Jodi den Code der Systeme als aktuellste Manifestation der Macht des Faktischen hinter dem Bewusstseinshorizont hervor. Dahinter geht die Arbeit der freundlich-durchgedrehten Hacker weiter. Ulrich Gutmair
„OSS“ kann noch bis nächsten Sonntag in der permanenten CD-ROM-Galerie der transmediale besichtigt werden. 12–24 Uhr, Podewil, Klosterstr. 68–70
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen