: „Derrick war ganz wichtig“
■ Fassbinder ist in Frankreich heilig, aber François Ozon hat trotzdem ein Stück von ihm verfilmt: Der Regisseur von „Gouttes d’eau sur pierres brûlantes“ über Manipulation, deutsche Schlager und die Frisur von Karlheinz Böhm
taz : François Ozon, Sie sind der erste französische Regisseur, der je ein Stück von Fassbinder verfilmt hat. Hat sich da vorher keiner rangetraut?
François Ozon: Die Franzosen haben ein Problem: ihre Cinéphilie. Sie respektieren die Filmgeschichte zu sehr und neigen dazu, Regisseure zu vergötten, sakrosankt zu machen. Wahrscheinlich wird man mir in Frankreich vorwerfen, dass ich mich an Fassbinder heranwage. Er ist ja auch eine unglaubliche Institution. Godard hat über ihn gesagt: „Er musste einfach jung sterben, weil auf ihm die Last ruhte, allein das ganze deutsche Kino sein zu müssen.“
In Ihrem Film schilder Sie die Beziehung zwischen einem jungen und einem älteren Schwulen. Dafür haben Sie Fassbinders Theaterstück „Tropfen auf dem heißen Stein“ von den 50ern ins Deutschland der 70er verlegt. Warum nicht gleich in die Gegenwart?
Dann hätte ich auch von Aids erzählen müssen und wenigstens einmal ein Präservativ einblenden müssen. Die 70er schienen mir die ideale Zeit, um eine Schwulenbeziehung zu schildern, weil sie zwischen der sexuellen Revolution der 60er und dem „Rollback“ der 80er liegen. In Fassbinders Stück wird die Beziehung der beiden Männer ja als etwas völlig Selbstverständliches geschildert, und das passt eben genau in diese Zeit.
Und die haben Sie vom Staubsauger bis zum Zimmerpflänzchen unglaublich liebevoll rekonstruiert.
Ich bin mit meinem Ausstatter nach Köln gefahren, wir haben uns bis zum Umfallen Fensterrahmen angekuckt, und wir stöberten in alten Modemagazinen. Dort kauften wir auch die Türen und diese hässlichen Tapeten. Aber unsere wichtigste Inspirationsquelle waren die „Derrick“-Folgen. Da ist sie drin, die deutsche Mittelklasse! Ihre Möbel, ihre Kleider, ihre Aschenbecher, ihre Staubsauger.
War Ihnen bewusst, dass Fassbinders Sprache in der französischen Übersetzung etwas abstrakter wirkt als im Original?
Ich hatte kurz überlegt, den Film auf Deutsch zu drehen. Aber dann sollte es doch meine Sicht auf einen deutschen Text werden. Wenn die Amerikaner „Madame Bovary“ verfilmen, reden sie ja auch Englisch – und diese Hollywood-Konvention hat mir gefallen. Es sollte ja kein Neo-Fassbinder werden, sondern eine Hommage an ihn.
Es gibt aber kleine deutsche Sprachtupfer, zum Beispiel „prost“ oder den Schlager von Tony Marschall.
Ich wollte meine Landsleute zwingen, ein bisschen Deutsch zu hören, auch wenn sie es nicht mögen. Immerhin ist es doch auch die Sprache von Marlene Dietrich! Die Tanzeinlage zu „Tanze Samba mit mir“ von Tony Marschall, die musste einfach her, um die Schwere des Textes ein wenig zu brechen.
Ihr Film erinnert auch formal an Fassbinder, aber eher an seine Filme aus den 80ern.
Ich habe in der Tat an „Die Sehnsuch der Veronika Voss“ und an „Lili Marleen“ gedacht. Da war Fassbinders Filmsprache stilisierter und nicht mehr so streng und karg wie am Anfang. In dieser Zeit war er, glaube ich, innerlich schon in Hollywood angelangt, auch was das Licht und die Ausstattung betrifft.
Leopold, der von Bernard Giraudeau gespielte ältere Schwule, erinnert in seinem Zynismus an Karlheinz Böhm in Fassbinders Film „Faustrecht der Freiheit“.
Wir haben ihn auch ein bisschen wie Karlheinz Böhn frisiert, mit den Haaren nach hinten. In Frankreich ist Karlheinz Böhm vor allem durch seine Rolle in „Sissi“ bekannt. Bernard Giraudeau hat ein ähnliches Image, seit er mit Sophie Marceau in „La boum“ gespielt hat, wo sich alle Teenies in ihn verlieben. Diese Parallele hat mir gefallen. Es war übrigens sehr schwierig, einen Darsteller für Leopold zu finden, die anderen französischen Schauspieler hatten alle Angst um ihr Image.
Die amerikanische Schauspielerin Anna Thomson spielt die Rolle, die bei Fassbinder wahrscheinlich Ingrid Caven gespielt hätte. Wie kamen Sie auf sie?
Diese Figur existiert in Fassbinders Stück nicht, damals interessierte er sich noch nicht so sehr für Frauengestalten. Aber ich wollte, dass der junge Franz mit einem Menschen konfrontiert wird, der das verkörpert, was auch aus ihm werden könnte: ein gebrochener Mensch, der in der Beziehung mit dem dominanten, egoistischen Leopold auf der Strecke geblieben ist. Diese Gebrochenheit habe ich in Anna Thomson gesehen, als sie die Hauptfigur in Amos Kolleks Film „Sue“ gespielt hat. Und dann erfuhr ich noch, dass sie sehr gut Französisch spricht.
In Ihrem Film taucht auffällig oft der Satz auf: „Ich bin seine Kreatur.“
Den Satz habe ich dazugeschrieben. Einmal weil es in diesem Stück um Manipulation und die Machtverhältnisse in einer Beziehung geht. Dann weil die Menschen, mit denen er gearbeitet hat für Fassbinder selbst so etwas wie Marionetten waren. Und natürlich weil ich mich, ehrlich gesagt, als Regisseur auch ein wenig wie der Manipulator meiner Figuren und Schauspieler fühle.
Interview: Katja Nicodemus
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