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Romantik über Bord

■ Gewerkschafts-Kampagne gegen Billigflaggen auf den Weltmeeren: Das Ausstellungsschiff „Global Mariner“ macht heute im Europahafen fest

Mehrzweckfrachter. Länge: 162 Meter. Breite: 23 Meter. Bruttotonnage: 12.778 Tonnen. Schiffe dieser Größe fahren inzwischen nur noch selten die Weser hoch. Schon gar nicht mit so außergewöhnlicher Ladung an Bord. Keine Container, keine Autos, weder Kaffee noch Getreide: In ihrem Rumpf bringt die „Global Mariner“ – Baujahr 1979 – statt dessen eine schwimmende Multimedia-Ausstellung an die Kajen des Europahafens. Umfangreiche Videoinstallationen, Plakatwände und Modelle führen die Besucher in eine Welt der Seefahrt, die unromantischer und herzloser nicht sein könnte.

Im Auftrag der Internationalen Transportarbeiter Föderation (ITF) ist die Global Mariner seit Juli 1998 unterwegs, um gegen die drastischen Bedingungen der Seeleute auf Billigflaggenschiffen mobil zu machen. Bremen ist nach den Docklands in London die weltweit 86. und letzte Station der Rundreise. Nach einem farbenfrohen Einstieg mit Aufnahmen von Kreuzfahrtschiffen und alten Hafenplätzen tauchen die Besucher unter Deck in eine gespenstische Atmosphäre ein.

Auf Kinoformat vergrößerte Bilder aus den Archiven der ITF fördern krasse Schicksale zu Tage: den zweiten Schiffsingenieur der griechischen „Senfos“ etwa, der fünf Monate lang keinen Lohn erhalten hatte und unter krassem Nahrungsmangel litt – das Schiff fuhr unter der Flagge von St. Vincent. Oder der Matrose Yusuf Adam Shaikh, dem nach einem schweren Unfall an Bord eines Frachters unter Panama-Flagge jede medizinische Versorgung verweigert wurde, als das Bein bis zum Knie geschwollen und tiefblau angelaufen war. Bilder aus dem echten Leben. Dazu im Hintergrund düstere Soundeffekte: Kettenrasseln, Quietschen und das Brummen von Dieselmotoren. Wenig appetitlich muten die Einblicke in die Kombüsen der Dampfer an: An Bord der bulgarischen „Ofelia“ krabbeln die Kakerlaken über den Herd, überall Schimmel und Rost.

„Die Bilder sind zum Teil sehr drastisch, aber das ist nun mal die Realität“, sagt der mitreisende ITF-Sekretär Tony McGregor. Rund 730.000 Besucher hat die Ausstellung weltweit angezogen – deutlich mehr als die Organisatoren ursprünglich erwartet hatten. Wäre die „Gobal Mariner“ in einigen Ländern nicht auf massive Hindernisse gestoßen, hätte die Zahl der Besucher vielleicht sogar die Millionenschwelle überschritten. So verweigerte die chinesische Regierung der Crew sowohl die Einfahrt nach Schanghai als auch nach Hongkong. Weitere Schwierigkeiten gab es in Griechenland und Panama. McGregor: „Unsere Botschaft ist ganz einfach: Wir wollen ein Zeichen setzen gegen Ausbeutung und für die Rechte der Arbeiter. Vielen Regierungen ist das ein Dorn im Auge.“

Michael Hollmann

Die „Global Mariner“ ist vom heutigen Mittwoch bis Samstag im Europahafen zu besichtigen. Liegeplatz: vor Schuppen 1. ( Nähere Infos bei der ÖTV )

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