: Ex-Fußballboss mit Drang nach oben
Willi Lemke, derzeit Chef der Kultusminister, macht Bildungsministerin Bulmahn heute seine Aufwartung ■ Aus Bremen Klaus Wolschner
Ein Mann für alle Fälle, hieß es in Bremen vor einem knappen Jahr, als die ersten Gerüchte über Willi Lemkes mögliche Quereinsteiger-Karriere kursierten. Denn der Fußballmanager des SV Werder Bremen hatte am 1. Mai 1999 auf der DGB-Kundgebung geredet – überraschenderweise. Auf Nachfrage musste der DGB einräumen, dass niemand im Gewerkschaftshaus auf die Idee gekommen war, Lemke einzuladen. Aber Henning Scherf, Bremens Erster Bürgermeister und der Profi für politische Karrieren an der Weser, hatte an seinen alten Kumpel Lemke gedacht. Wenig später war Lemke Senator an Scherfs Seite, zuständig für Wissenschaft und Bildung.
Heute absolviert Lemke seinen Antrittsbesuch bei Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn – in seiner Eigenschaft als Präsident der Kultusministerkonferenz (KMK). Seit Jahresbeginn hat der 53-Jährige das Amt turnusgemäß inne und spart dabei nicht mit fernsehgerechten Statements: „Schule muss im Leben stehen, der Lehrer soll dabei moderieren.“
Zum Leben gehört für den erfolgreichen Ex-Manager auch das Sponsoring. Als die Bremer Dasa jüngst einige Computer für den PC-Raum eines Bremer Gymnasiums sponserte, ließ es sich Lemke nicht nehmen, persönlich für das „Danke schön“-Foto zu posieren. Und für die ehrwürdige Kultusministerkonferenz hatte Lemke auch gleich eine Idee: Er wolle sie, verkündete er, „zu einer ersten Adresse für Bildungspolitik in Deutschland machen“.
Solche Sätze kommen gut an, weil jeder sie versteht. Probleme, die nicht jeder versteht, interessieren Lemke weniger. Welche Bedeutung sollen „Bachelor“- und „Master“-Abschlüsse für die deutschen Universitäten bekommen? „Dazu habe ich mir noch keine endgültige Meinung gebildet“, gestand der frisch gebackene KMK-Präsident. Sein Gefühl zum Thema: „Man sollte sich nicht überall ausschließlich nach amerikanischem Vorbild richten.“ Überall und ausschließlich? Sogar Kritiker können aus vielen Lemke-Sätzen noch ihren Honig saugen.
Als Bremer Bildungssenator klapperte Lemke erst einmal die Schulen des Stadtstaats ab, und überall waren Lehrer und Schüler beeindruckt von dem neuen Mann. Mit Lemke kann man einfach so über alles reden, und wenn er nicht mehr weiter weiß, dann bringt er ein Beispiel aus seiner Fußball-Praxis. Das kommt an.
„Die Lehrer machen einen tollen Job“, versucht der Bildungssenator diejenigen aufzumuntern, die er eigentlich zu mehr Einsatz bei geringeren Kosten antreiben will. Aus dem Munde des KMK-Präsidenten hört sich das, sprachlich aufgebessert, so an: „Ich habe einen ungeheuren Respekt vor der pädagogischen Leistung unserer Lehrkräfte.“
Wenn Lemke sich unbeobachtet fühlt, dann kann das aber auch so klingen: „Wenn ich im Lehrerzimmer in die Gesichter gucke, dann fällt mir nichts mehr in. Die sind so kaputt, ausgebrannt, fertig.“ Mehr als ein Drittel der Lehrer in Bremen kommen in den nächsten Jahren ins Pensionsalter, nur die Hälfte der frei werdenden Stellen darf Lemke neu besetzten, das ist die bittere Wahrheit.
Und wo den LehrerInnen, etwa an Grundschulen, die 40 Prozent und mehr Ausländeranteil haben, früher mehr Lehrerstunden gewährt wurden, damit dort unter dem Namen „volle Halbtagsschule“ kleinere Lerngruppen gebildet werden konnten, da muss Lemke kürzen und streichen. Seit Wochen laufen Eltern und KollegInnen dagegen Sturm. Lemke hat Verständnis („Wir haben das 68 auch so gemacht“) und reagiert gleichzeitig mit aller bürokratischen Härte. Denn der Protest raubt ihm den Spaß am neuen Job. „Das bin ich eigentlich nicht gewohnt“, beklagt er sich gegenüber Journalisten.
Protestierende Schulen besucht er nicht mehr. Per Anweisung bestellte er die Schulleitungen der Protest-Schulen zum Dienstgespräch ein und ließ sich von jedem in der Runde einzeln die gebotene beamtenrechtliche Loyalität versichern. Die Schulleiter waren so geschockt, das sie sich das zunächst gefallen ließen und im Nachhinein eine förmliche Entschuldigung von ihrem Senator forderten. „Der Schulleiter ist ein Teil der Exekutive“, sagte Lemke dazu, das Dienstgespräch eine interne Angelegenheit.
Als sich der Werder-Manager vor einem Jahr im Gespräch mit Bürgermeister Scherf dem Gedanken annäherte, vielleicht Senator zu werden, da war das keine neue Annäherung an die Politik. „Mit Henning Scherf verstand er sich glänzend“, kann man in einem Buch über die SPD der 70er-Jahre lesen. Scherf war der „Linksaußen“ der Bremer SPD, und Lemke, der in Hamburg als Mitglied des linken Asta sportliche Wettkämpfe mit Ostberlin und Moskau organisierte, zählte sich dazu.
1974 war Scherf Landeschef der SPD und Lemke „Sportplaner“ an der „roten Kaderschmiede“, der Bremer Universität. Lemke wollte mit Macht in die Politik. In einer Erinnerung über die damalige Zeit wird sein politischer Stil beschrieben: „Willi wuselte überall herum und knüpfte nach allen Seiten Verbindungen.“ Und da kursierte in SPD-Kreisen die Information, dass Lemke als Asta-Sportreferent Geld vom sowjetischen Geheimdienst bekommen hatte und auch vom Verfassungsschutz, wie ein kleiner Doppelagent.
Lemke wurde in den 70er-Jahren dennoch auf Betreiben von Scherf Parteisekretär der Bremer SPD, aber die weitere Karriere war damals verbaut. 1981 wurde Lemke dann Manager bei Werder Bremen. Nun ist Lemke als Wissenschaftssenator verantwortlich für die Universität, deren Sportbereich er einmal plante. Aber die Wissenschaftspolitik beschäftigt ihn weniger, er sucht den populären Erfolg im Schulbereich.
Über seine weiteren Pläne befragt, hält er sich klug zurück. Er dementiert nicht, wenn er von Scherf selbst als möglicher Nachfolger auf dem Posten des Bürgermeisters gehandelt wird. „Ich habe sechsmal auf dem Balkon gestanden“, sagt er ungefragt, „ich muss nicht Bürgermeister werden.“
Der „Balkon“ ist der am Bremer Rathaus, von dem Lemke nach Titel-Erfolgen zusammen mit der Werder-Mannschaft stand, damit ihm die Fans auf dem Marktplatz ordentlich zujubeln konnten. Wenn Scherf keine große Koalition gemacht hätte, dann wäre er Wirtschaftssenator geworden, vertraute Lemke ein wenig bedauernd einmal einem Journalisten an.
Das wäre ein dankbareres Amt und vor allem eine weniger risikoreiche Ausgangsposition gewesen. „Wenn ich das hier hinkriege, war das nicht mein letzter Job.“
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