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Die Ritter vom Zeitgeist ■ Von Michael Rudolf

Kunst ist, der Zeit voraus zu sein. Ihr hinterherzuhinken ist bisweilen ärgerlich, meistens aber ungefährlich, wenigstens jedoch liebenswert. Ständig auf der Höhe der Zeit sein zu müssen, ist Kunsthandwerk, das Widerlichste auf unserem Erdenrund, das seinen Ausdruck im Mut des dummen Feiglings findet, der nur aus der Masse heraus die große Klappe haben kann. Wie die Musikgazetten, die zu Zentralorganen einer freien deutschen Berufsjugend geworden sind – Schwafelkombinate, Kitsch für Selbstabholer. In jedem Groschenheft springt uns der fimikole „Kult“-Begriff an. Jeder Fitti kann einem um den Lohn einer Gratis-CD die Lust am Allesmitmachenwollen als Gegenkultur vorrotzen. Kult? Viel gutt! Inhalt? Fuck off! Was ihnen dringend fehlt, ist eine übersichtliche Welt mit leicht verständlichen Trends.

Eine dieser in diversen Fachblättern herbeigewinselten und -gepinselten Minitrends ist momentan die „Neue Deutsche Härte“. Unter diesem Label ferkeln Bands wie Die Allergie, Blutjungs, Das Ich, Drecksau, Hassmütz, In Extremo, Keilerkopf, Kind Tot, Letzte Instanz, Megaherz, Niederschlag, Oomph!, Rrrrrrrrrammstein, Richthofen, Rinderwahnsinn, Die Schinder, Schwanensee, Subway to Sally, Totenmond, Weissglut etc. Klingt ziemlich gefährlich. Bibber! Grusel! In lächerlichen Jahrmarktstrachten herumtollen, Ritter spielen, das R rollen, bis der Notarzt kommt, und dazu den Amp hochdrehen, das gilt dem Zeitgeist heute schon als innovativ.

Bei Licht betrachtet entpuppen sich die Lastminute-Dichtungen als paarungsvorbereitende Drecksackverse über Pauschalriffs. Neu! Ungeheuer provokant! Jetzt mit Dudelsäcken! Selten war der Zusammenhang von Pathos und Pathologie offensichtlicher. Auf dem Cover eines Buches über die „Neue Deutsche Härte“ ist sogar von einem „kalten, nationalen Krieg auf kultureller Ebene“ zu lesen. Oho, wat dat denn? Also, auf alle Fälle erst mal schlimm! Jawoll! Siegheilpraktiker fühlen sich nämlich stets als Opfer. Warum soll faschistische Ästhetik auf einmal rechtsradikal sein? Die Leni Riefenstahl hat doch neulich auch gesagt, sie wüsste gar nicht, dass ihre Filme faschistisch waren. Wow! Nur wollen sich die rechten und vermeintlich rechten Bands selten klar zur „Neuen Deutschen Härte“ äußern – wie denn auch, sie können es einfach nicht. Dafür fiebert man mit ihnen in ihrem höchst eigenwilligen Krieg gegen die überhaupt nicht so neuen Härten der deutschen Schriftsprache. Und, hastunichtgesehen, ist der Minitrend auch wieder vorbei.

But what’s next? Mein todsicherer Trendtip: ewiger nationaler Friede auf kultureller Ebene wird erst herrschen, wenn die Heavies mit der Alten Deutschen Härte ihren Deal gemacht haben. So abwegig ist das nicht: Schaut euch die Horden in Karl Moiks Volksmusikgerichtshof an. Die haben meist auch lange Haare und sich Gitarren umgebunden. Auf, Bürger, bildet Bands! Nennt sie Arschgeige, Die Blödmänner, Die Armleuchter oder Schweinebacke! Soll Stefan Mross doch auf Dudelsack umschulen, Stefanie Hertel über Metalgrooves strippen – als Leather Girl, mit volkstümlichen Tattoos besprenkelt! Deutscher Mantel-und-Degen-Metal ist schon heute kaum mehr als eine aktuelle Form der deutschen Gemütlichkeit.

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