Pinocchio behauptet weiter, stupsnasig zu sein

Roland Koch klebt noch an der Macht: Trotz neuer Berichte über Halbwahrheiten und Ungereimtheiten in der hessischen Union lehnt der Ministerpräsident einen Rücktritt ab

Was wäre eine Erneuerung bei der CDU wert, die sich im Rücktritt von Fraktionschef Wolfgang Schäuble erschöpfen würde? Absolutely nothing. Jedenfalls so lange, wie „Pinocchio“ Koch in Hessen glaubt, am Sessel des Ministerpräsidenten kleben bleiben zu müssen. Wie dem kleinen Lügenbold aus dem italienischen Märchen ist Roland Koch schon eine lange Nase gewachsen: auf den Aufklebern und Plakaten der SPD.

Eine dritte Lüge glauben SPD und Bündnisgrüne im Hessischen Landtag dem Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der hessischen Union inzwischen nachweisen zu können. Es geht wieder einmal um einen gefälschten Rechenschaftsbericht, diesmal um den für das Jahr 1997. Den soll der ominöse Horst Weyrauch, der ehemalige Finanz- und Steuerberater der Union, erstellt haben. Und die Firma Weyrauch und Kapp GmbH habe ihn anschließend, „unter Mitwirkung von Roland Koch“, so die SPD, auch noch selbst geprüft. Im Landtag hatte Koch dagegen noch am 16. Dezember 1999 erklärt, dass es vor dem gefälschten Rechenschaftsbericht für 1998 keinen von Weyrauch alleine oder von seiner Firma geprüften weiteren Rechenschaftsbericht geben würde.

Für die SPD eine „wahrheitswidrige Behauptung“. Die Bündnisgrünen halten Koch inzwischen für die Inkarnation einer „unendlichen Lügengeschichte“. „Schäubleweise“, so der Fraktionsvorsitzende der SPD, Armin Clauss, würden jetzt alle Vertuschungsversuche und Täuschungsmanöver des „brutalstmöglichen Aufklärers“ (Koch über Koch) ans Licht der Öffentlichkeit kommen. An normale Regierungsarbeit, die Koch trotzig dennoch immer wieder propagiert, ist in Wiesbaden nicht zu denken. Koch und seine 50 Christdemokraten in der Fraktion im Landtag, aber auch Wissenschaftsministerin Wagner (FDP) und ihr rühriger Fraktionsvorsitzender Hahn sind vollauf damit beschäftigt, die Angriffe der Oppositionsparteien abzuwehren und für die Öffentlichkeit so genannte Klar- oder Richtigstellungen zu verfassen.

Das erfordert Fantasie. Die musste die Union am Dienstag noch einmal aufbringen. Weyrauch habe zwar tatsächlich angefangen, den Rechenschaftsbericht für 1997 zu prüfen, hieß es in einer knapp gehaltenen Presseerklärung. Doch nach einem „Warnhinweis“ von der Bundespartei sei eine andere Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit dieser Aufgabe betraut worden. Das mag sogar stimmen. Warum aber hat Roland Koch vor dem Landtag nicht die ganze Wahrheit gesagt? Und warum belog er im Januar 2000 die Öffentlichkeit, als es um den gefälschten Rechenschaftsbericht für 1998 ging? Und in derselben Angelegenheit auch noch den Landtag?

Die Vertuschungen kommen nur schäubleweise ans Licht

Und dann ist da noch die unfassbare Geschichte von dem CDU-Buchhalter in der Landesgeschäftsstelle, der die Partei Anfang der 90er-Jahre um eine Million Mark prellte und dafür nicht angezeigt wurde. Der Erpresser, der mit seinen Kontakten zum Spiegel prahlte, bekam noch eine Abfindung, und die CDU bezahlte sogar seine Schulden. Was wusste der Staatsminister in der Staatskanzlei, Franz Josef Jung, davon? Jung war damals immerhin Generalsekretär der hessischen Union und danach parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion im Landtag – und der beste Freund von Roland Koch. Nichts, sagt Jung. Und Koch glaubt ihm. Wann bricht dieses Lügengebäude zusammen? Und begräbt es dann beide Politiker unter sich?

Die FAZ berichtete schon vor zwei Wochen, dass Koch „amtsmüde“ sei. Und die Stuttgarter Zeitung setzte gestern noch eins drauf. Koch werde nächste Woche zurücktreten, prognostizierte das Blatt. Das wiederum nannte Regierungssprecher Dirk Metz ein „mieses erfundenes Gerücht“. Aber würde Kochs Rücktritt nicht alle akuten Probleme von CDU und FDP in Hessen lösen? Die Koalition könnte weitermachen – mit einem neuen, unbelasteten Ministerpräsidenten, der dann wahrscheinlich Karlheinz Weimar (CDU) heißen würde. Neuwahlen wären obsolet geworden, falls nicht das Wahlprüfungsgericht zu einer anderen Einschätzung kommen sollte. Und die sich in der Zerreißprobe befindenden Freien Demokraten könnten auf den lästigen Sonderparteitag verzichten.

Das alles weiß auch Koch. Am Samstag muss er sich auf dem Landesparteitag der hessischen Union der Basis stellen. Sein aktuelles Motto wird das alte sein: „Hinstehen statt Wegducken“. Die Auguren im Landtag glauben ohnehin zu wissen, dass vor dem Parteitag nix passieren wird. Und, so Regierungssprecher Metz, danach auch nicht.Klaus-Peter Klingelschmitt,
Frankfurt am Main