: Ein Merz macht noch keinen Sommer
Tja, wen soll man denn als Schäuble-Nachfolger für den Fraktionsvorsitz nehmen wenn nicht den Schäuble-Ziehsohn Friedrich Merz? Oder Angela Merkel als neue Parteichefin?
Alles deutet auf Friedrich Merz als Schäuble-Nachfolger hin: Der CDU-Finanzexperte soll offenbar neuer Fraktionschef der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag werden. Der 43-jährige Sauerländer wird schon seit den ersten Rücktrittsgerüchten um Wolfgang Schäuble als Favorit gehandelt. Angesprochen auf die Aussicht, Fraktionschef zu werden, ließ er sich nur entlocken: „Ich weiß gar nicht, ob ich das wollen sollte.“
So viel Contenance in Zeiten der Krisen und Unruhe stärkt den guten Ruf, den sich der Anwalt aus Brilon und Vater von drei Kindern in seinen wenigen Jahren im Bundestag erworben hat. Selbst jene Abgeordneten, die seine innen- und gesellschaftspolitischen Positionen für „ eher reaktionär“ halten, können dem Ziehsohn von Schäuble wenig entgegensetzen.
Merz zählt zu den 145 Abgeordneten, die 1995 in der Abtreibungsdebatte gegen den Regierungskompromiss stimmten und die Staatsangehörigkeitsreform strikt ablehnten. Dennoch sagt einer der liberalen CDU-Abgeordneten: „Merz ist kein Vulgärpopulist, sondern ein liberaler Konservativer.“
Und undogmatisch dazu. Mit grünen Realos wie Cem Özdemir und Oswald Metzger versteht er sich besser als mit manchem Sozialdemokraten. Vielleicht auch besser als mit einer ganzen Reihe von CSUlern. Die haben ihm übel genommen, dass er sich unter der Herrschaft von Finanzminister Theo Waigel, als CDU-Obmann im Finanzausschuss, nicht zum verlängerten Arm des Finanzministeriums hatte machen lassen.
Doch die Christsozialen haben keine personelle Alternative zu bieten. Die Personaldecke ist zu dünn. Denn den von liberalen CDU-Leuten ins Gespräch gebrachten Ex-CSU-Gesundheitsminister Horst Seehofer wollen die Bayern erst recht nicht haben. Also hat Seehofer wenig Chancen – selbst wenn ein so angesehener NRW-Abgeordneter wie der Vorsitzende des Vermittlungsausschusses, Heribert Blens, ihn favorisiert. Er meint, dass man „in dieser schwierigen Lage von dem heeren Grundsatz, dass der Fraktionsvorsitzende aus der CDU kommen muss, abweichen sollte“. Doch das sehen die meisten Christdemokraten anders. „Ich will auf jeden Fall einen aus der CDU“, formuliert es eine Abgeordnete kurz und bündig. So bliebe den CSUlern nur Volker Rühe. Der wird sich aber kaum darauf einlassen, vor den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein noch für den Fraktionsvorsitz zu kandidieren.
Deswegen wird von Seiten der CSU dafür gekämpft, den neuen Fraktionsvorstand doch lieber nach der Kieler Wahl zu bestimmen. Dafür finden sie bei den schleswig-holsteinischen Abgeordneten wenig Zustimmung. Denn die hoffen, dass die neue Fraktionsspitze einen Neuanfang signalisiert, der ihnen bei der Landtagswahl Stimmen bringt.
Deswegen gibt es noch einen weiteren Vorschlag für das Procedere: Der Fraktionsvorsitzende und der Erste Parlamentarische Geschäftsführer sollen nächsten Dienstag gewählt werden. Der Rest des Fraktionsvorstandes eine Woche später, also nach den Wahlen in Schleswig-Holstein. Dann hätte Rühe gute Karten, wenigstens Fraktionsvize zu werden. Zustimmung findet dieses Modell auch bei anderen Landesgruppen, zum Beispiel den Niedersachsen.
Doch Merz hat Rühe gegenüber auch einen Vorteil, den es in diesen Zeiten nicht zu unterschätzen gilt. Er gehörte nie zum engeren Zirkel um Helmut Kohl. Rühe war bei Kohl Generalsekretär und später Verteidigungsminister. Merz dagegen legte sich ohne Scheu mit Kohl an. Zum Beispiel, als der ihn auf seine typische Art unaufgefordert und einseitig duzte oder als der damalige Kanzler die steuerpolitische Kompetenz der Partei öffentlich kritisierte. Merz, zuständig für die Steuerpolitik, hat sich das nicht bieten lassen.
Einer, dem Merz als Fraktionsvorsitzender so gar nicht passen kann, ist der Chef der nordrhein-westfälischen CDU und Spitzenkandidat für die dortige Landtagswahl, Jürgen Rüttgers. Nicht umsonst hat er noch gestern Morgen, als er auf Merz als künftigen Fraktionsvorsitzenden angesprochen wurde, geantwortet, er gehe davon aus, dass Schäuble wieder kandidieren werde. Denn wenn Merz Fraktionschef wird, sinken Rüttgers’ Chancen, Parteivorsitzender zu werden, gegen null.
Zwei Nordrhein-Westfalen an der Spitze der Partei werden sich die anderen Landesverbände nicht bieten lassen. Zumal auch dort nicht jeder in dem CDU-Landeschef den künftigen Parteivorsitzenden sieht. „Es muss jeder Anschein vermieden werden, als wäre das, was als Neuanfang deklariert wird, ein Zurück zum alten Kaiser Wilhelm Kohl“, sagte zum Beispiel der Kölner Bundestagsabgeordnete Heribert Blens. Rüttgers war schließlich Kohls Lieblingsminister.
Hoch gehandelt wird zur Zeit Angela Merkel. Zwar will sich so mancher Westmann keine Frau und erst recht keine Ostfrau vor die Nase setzen lassen, aber sie gilt als unbelastet und souverän.
Alternativ bliebe eine Interimslösung mit Kurt Biedenkopf oder Bernhard Vogel. So könnte zumindest verhindert werden, dass der oder die neue Parteivorsitzende durch die Affäre verschlissen wird, bevor er oder sie Fuß fassen kann. Karin Nink
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