: Behinderte werden schicke Menschen
Die Aktion Sorgenkind unterzieht sich einer Schönheitsoperation
Alle dreißig Jahre reißen die Deutschen ihre Städte ein und bauen sie anschließend umso scheußlicher wieder auf, bemerkte einmal ein englischer Kritiker. Nicht nur Städte, auch deutsche Institutionen drängt es beim Generationenwechsel zur Schönheitsoperation mit der Planierraupe. Nach dreißig Jahren will sich jetzt die „Aktion Sorgenkind“ umbenennen. „Aus der Aktion Sorgenkind wird die Aktion Mensch!“, jubelt die Geschäftsführung der „Deutschen Behindertenhilfe“.
Waren Behinderte bisher keine Menschen? Sind alle Menschen behindert? Dürfen Behinderte jetzt keine Sorgenkinder mehr sein? „Behinderte Menschen möchten nicht länger als ‚Sorgenkinder‘ bezeichnet werden“, behauptet der Aktionsleiter und offenbart sein werbeträchtiges Selbstverständnis: „Es entspricht unserem Selbstverständnis, diesen Wunsch zu respektieren und aufzugreifen.“ Man sieht es schon vor sich, wie die behinderten Bittsteller in der Teppichetage vorsprechen: Wir wollen überhaupt gar keine Sorgenkinder mehr sein. Ein Wunsch, der den Geschäftsführer nicht kalt lässt, erst recht nicht, wenn er heißt, wie er ist: Dieter Gutschick. Und weil es schick ist, Gutes zu tun, muss es auch schick klingen. Deshalb hat man sich „nach langen Überlegungen und sorgfältigem Abwägen des Für und Wider“ entschlossen, „aus einem guten Namen einen besseren“ zu machen.
Wer etwas Schlechtes reformieren will, verschlechtert es nur, bemerkte Franz Kafka mit Blick auf die Kirche. Zwar ist die „Aktion Sorgenkind“ keine Kirche und hat durchaus einiges geleistet. Aber der Muff der Wohlstandsjahre drückt die Sorgenkräfte schon sehr. „Aktion Sorgenkind“, das riecht nach Wim Toelke und „Der Große Preis“, nach Walter Spahrbier und „Mit fünf Mark sind sie dabei“. Und so rückt der Aktionsmensch den Anlass seines Geschäftes lieber in den Hintergrund. Der neue Name „Aktion Mensch“ sei gewählt worden, „weil mit ihm der Mensch in den Vordergrund rückt und nicht die Behinderung.“ Also wird es demnächst keine kitschige Bettelwerbung mit netten Behinderten mehr geben. Versteckt die fiesen Mongos! Her mit den neuen Schickmenschen! mir
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