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Sirene blind, Barde nervös

Sie müssen: gewinnen. Sie streiten ab: gewinnen zu müssen. Stefan Raab und Corinna May. Vorm Grand Prix Eurovision geht es vor allem um eines: nicht das Gesicht zu verlieren ■ Von Jan Feddersen

Corinna May: „Das wird wieder keine Radiostation spielen. Aber dann wird es eben mein drittes Lied, das einschlägt.“

Wie denn? Jetzt soll doch seine Probe beginnen? Vor der Kabine im „Künstlerdorf“ der Bremer Stadthalle lungern Männer, die zumindest optisch in jedem Boxring eine gute Figur abgeben würden. Sie sprechen gelegentlich etwas in ihre Handys, senken während dieses Murmelns ihre Köpfe. Sieht wie eine Verschwörung aus, sind aber nur die Bodyguards vom Favoriten. – Nein, Stefan Raab ist nicht krank. Nein, er hat in seiner Garderobe gerade keinen Nervenzusammenbruch erlitten. Nein, ein striktes Nein, Kamerateams sind bei den Proben nicht zugelassen.

Mindestens 30 Fernsehjournalisten stoßen grobe Flüche aus gegen den Mann und seine Entourage. Auch die Monitore in der Vorhalle werden abgeschaltet. Keiner soll sich ein Bild machen vom Mann, der aus keinem anderen Grund bei der deutschen Vorentscheidung zum Grand Prix Eurovision auftritt, als am 13. Mai in Stockholm Deutschland zu vertreten. Keine Interviews, keine flüchtigen Eindrücke, die Raab nicht selbst steuern kann. Keine Zufälle.

Dann kommt er aus seiner Kabine. Sicherer Gang auf den Zehnzentimeterplateauschuhen. Das Kostüm, das in einer Inszenierung eines Kasperletheaters für die Rolle des Hofnarren geeignet wäre, sitzt. Am ganzen Körper fünfzackige Sterne, die in der Dunkelheit blinken. Stefan Raab lächelt. Aber ist es nicht ein verräterisches Zeichen, dass nur sein Mund diese freundliche Geste mitvollzieht – und seine Augen nicht?

„Hat der Mann etwa Angst?“, fragt sich eine Journalistin. Selbst wenn, würde es der gelernte Metzgersohn nicht zugeben. Zu viel zu verlieren. Sein „Maschendrahtzaun“ hat ihm zwar einen Nummer-Eins-Hit gebracht – aber auch den geballten Hass des Ostens der Republik. Seine Pro 7-Show „TV Total“ sogar eine ergebene Gemeinde von durchschnittlich einer Million Zuschauern – auch wenn sie überwiegend aus dem Westen kommen. Aber am Freitag bei der ARD, da sitzen bei der Telefonabstimmung auch Menschen, die mit seiner Art von Humor nichts im Sinn haben. Das drückt die Stimmung, „gar keine Frage“, wie einer von „Brainpool Music“ sagt, der Firma, bei der Raab unter Vertrag ist. „Der Unsicherheitsfaktor ist ziemlich groß.“

Eine kennt diese Furcht. Sie ist die einzige, um die ein ähnlicher Hype veranstaltet wird. Tja, wenn es nur genug Journalisten hätte, die ihr die Tür einrennen würden. Aber Corinna Mays Manager müht sich, allergrößte Geschäftigkeit zu spielen. Den meisten Journalisten erzählt er, sein Schützling habe für Interviews keine Zeit. Sobald sich die Plattenfirma Polydor einschaltet, kann Manager Dirk Münchow dann doch zehn Minuten einräumen.

Münchow ist der Mann, der auf die blinde Sängerin aufpasst, auf den sie hört und hören muss, will sie nicht stolpern. Letztes Jahr allerdings, da hat er sie ins Leere laufen lassen. Da hatte sie den deutschen Grand Prix schon haushoch gewonnen, aber es stellte sich heraus, dass ihr Song „Hör den Kindern einfach zu“ ein zweiter Aufguss war, dessen erster zwei Jahre zuvor von anderen schon interpretiert wurde. Manager Münchow hat dies gewusst – Corinna May wurde disqualifiziert.

Zwei Tage habe sie zu Hause auf dem Bett gelegen und geheult. Diese Frau? Mit dieser Sprache? „Nein, das war schnell vorbei.“ Punkt. Basta. Keine Nachfrage.

Nun ist sie wieder dabei, obwohl sie zunächst nicht wollte. Dann, so sagt sie mit ihrer harten, eher burschikosen Stimme, habe sie Ralph Siegels Song „I Believe In God“ gehört und gedacht, das wäre einen zweiten Versuch wert. Das musste es auch, denn noch vor Jahresfrist hatte die blonde Bremerin im Gespräch mit Bettina Böttiger jede falsche Bescheidenheit versteckt und unumwunden angekündigt, eine internationale Karriere im Visier zu haben. Barbra Streisand, Céline Dion – darunter, das habe sie nun oft gehört, brauche sie es mit ihrer Vieroktavenstimme auch nicht zu machen.

Soviel zum Anspruch.

Von Corinna Mays letzter CD sind nur 25.000 Exemplare gekauft worden, das war für den Promotionsaufwand denn doch viel zu wenig, die Plattenfirma entsprechend unzufrieden. Darauf angesprochen meint Corinna May, als sie nach einem Fotoshooting für Bild der Frau aus dem Pool des Holiday Inn Crown Plaza in Bremen steigt: „Deutsch zu singen liegt mir nicht. Das wollte ich nicht wieder.“

Sie hält während dieser Probentage tapfer jede Zumutung aus. Selbst die stillen Posen im Schwimmbecken, die sie zur Diva stilisieren sollen, steht sie beherrscht durch. Lächelt, lächelt. Legt den Kopf zur Seite. Versucht sich in Smalltalk: „Das ist ganz schön kalt hier ...“ Wieder in einen Bademantel gehüllt, sagt sie: „Mein Song ist ein Grand-Prix-Lied, ganz klar.“ Klar.

Warum sagt sie jetzt nicht, dass ihr Stefan Raab gestohlen bleiben könne, weil ihr Lied besser sei? Weshalb gönnt sie ihrer Umgebung nicht ein wenig trotziges Selbstbewusstsein? „Nein, ich kenne sein Lied nicht.“ Das ist aller Vermutung nach gelogen, aber sie wird sich hüten, allzu sehr ihren Wunsch nach einem Triumph zuzugeben und schon gar, ihre Konkurrenten abzutun. Nicht schon wieder scheitern. Nicht schon wieder erst Mitleid, dann Häme. Sie möchte gewiss nicht der weibliche Ingo Dubinski werden, über den sich Raab zuletzt wegen seines kleinen Gemächts lustig gemacht hat.

Und? Glaubt sie, dass „I Believe In God“ ihr kommerziell ein Auskommen sichert? „Das wird wieder keine Radiostation spielen. Aber dann wird es eben mein drittes Lied, das einschlägt.“ Das Dritte. Das klingt nicht nach Selbstvertrauen, und das ist es auch nicht. Sie baut lieber auf die Ideen ihres familiären Umfelds, da hat selbst Komponist Ralph Siegel Schwierigkeiten ihr nahezulegen, bestimmte Gesten mit Armen und Händen zu lassen, weil „es so aussieht, als würgst du dir den Hals“. Corinna May nimmt die gut gemeinten Korrekturwünsche nur maulend hin: „Na gut, dann lege ich meine Hand aufs Herz.“

Wenigstens interessieren sich einige Medienleute für sie. Das ist ihr entscheidender Unterschied zum Gros der anderen Sänger und Sängerinnen und Gruppen, die heute Abend das Unterfutter abgeben, geht es nach „Brainpool Music“, um Stefan Raab das nötige Umfeld zu liefern. Kein Sieger ohne Besiegte. Heißen sie nun „Knorkator“ oder „Fancy“, „Lottoking Karl“ oder Claudia Cane. So ein Mainstream will schließlich organisiert sein.

Pressekonferenz Stefan Raab, Mittwoch kurz vor der Happy Hour. Wie beim echten Hype versuchen viel zu viele Menschen durch eine kleine Tür zur gleichen Zeit zu kommen. Drinnen sitzt Stefan Raab. In wenigen Sekunden wird er Hof halten. Hereingelassen wird nur, wer eine gefaxte, persönliche Einladung vorzeigt. Darüber wachen an der Tür zwei andere Männer aus dem Bodyguardtross des Kölners. Sie, die aussehen wie Mitglieder eines ukrainischen Killerkommandos, passen kongenial zu diesem Mann, dessen Humor so deutsch wie freudlos ist. Der Sänger, der in 40 Jahren berichten dürfte, den Zeitgeist verkörpert zu haben. Der Clown, der sich zur Frau, die den Maschendrahtzaun zur sächsischen Paradevokabel machte, verhält wie ein Dandy zum Bettler: ein Groschen für jede verkaufte CD.

Stefan Raab: „Ob mangewinnt / oder nicht /das ist egal / find ich. Ich habe meine Opfer lieb.“

Raab empfängt schließlich. Duldet Fragen – wenn sie gereimt gestellt werden. So kriegt er klein, so macht er nieder. Ein Spaßvogel, der geliebt werden will und deshalb nichts unkontrolliert lässt. Sagt, ganz gebildeter Jesuitenschüler, munter diesen 150 Vertretern des Mediengewerbes, sie mögen Reime vortragen, „Jambus, Trochäus, Daktylus“, das sei ihm ganz egal. Aber Reime. Und die so genannte vierte Gewalt im Staat, beziehungsweise die erste im Showgewerbe, lässt sich nicht lumpen – Was ist schon ein Schüttelreim? – die meisten sind ja nur seinetwegen gekommen.

Doch irgendwie will die Raabsche Chose nicht ganz so geölt laufen wie vor zwei Jahren noch die von Guildo Horn. Selbst an seinen auf der Ukulele oder der Gitarre musikalisch unterlegten Antworten lässt Stefan Raab Zweifel aufkommen: „Ob man gewinnt / oder nicht / das ist egal / find ich.“

Vor zwei Jahren, als er für Guildo Horn „Piep, Piep, Piep“ schrieb, war noch jede Silbe des Meisters eine Bild-Schlagzeile wert. Bei ihm ist das anders, die Boulevardblätter, Seismografen der Volksstimmungen, halten sich zurück. Er hat Anhänger, aber anders als Guildo Horn hat er auch Feinde. Wo Horn ganz cool und entspannt blieb, züchtigt Raab die Begierde, die ihm entgegenschlägt. Das wirkt so gar nicht sexy, selbst unter dem Gesichtspunkt nicht, dass Hässlichkeit wie bei Horn auf subtile Weise in Anmut umschlagen kann. Raab scherzte am Ende seiner Seance so wahrhaftig wie niemand sonst aus der deutschen Spaßszene: „Ich habe meine Opfer lieb.“

Die werden sich vielleicht rächen. Dem Mann eine Niederlage beibringen, die ihm gewiss einen Karriereknick einbringen wird. Muss man Raab also aus Mitgefühl bald doch lieb haben?

Komponist Ralph Siegel scheint locker wie selten. Er meint, Raab kein böses Blut zu wünschen. „Der macht die Leute nieder, ich baue sie auf. So ergänzen wir uns.“ Am Ende wird der TED entscheiden, für welchen Zeitgeist die Deutschen sich entscheiden: „Wadde hadde dudde da?“ oder „I Believe In God“.

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