: Bergmanns berühmte Hure
Die Bordellmutter Felicitas Weigmann rührt die Werbetrommel. Sie will der Diskriminierung der Prostitution ein Ende setzen. In ihrem Laden sollen Freier und Frauen sich offen kennenlernen – legal. Schließlich will die SPD die „Sittenwidrigkeit“ abschaffen Von Katharina Born
Feli“ beugt sich über den Stehtisch und hustet heftig. Auch Prostituierte erkälten sich mal. „Hör auf, Lars, ich muss jetzt ein Interview führen“, wimmelt die 42-Jährige den angetrunkenen Mann in Schlips und Kragen ab, der an ihrem gepflegten Pagenkopf herumfingert und ihr immer wieder „was flüstern“ will. „Geh, such dir da vorne ne andre zum Fummeln.“
Früher wollte Felicitas Weigmann immer eine berühmte Hure werden, weil es so schön verrucht klingt. Heute verkauft sie sich nur noch, wenn sie selbst Lust dazu hat. Im Moment beschäftigen sie wichtigere Dinge: die Politik. Sie führt den zur Zeit bekanntesten „bordellartigen Betrieb“ der Republik. Und um ihr Recht, das „Pssst!“ in Berlin-Wilmersdorf weiterbetreiben zu dürfen, muss sie kämpfen. Zwar konnte ihr das Bezirksamt die Konzession noch nicht entziehen. Aber auf eine bloße Duldung pfeift sie – und das in aller Öffentlichkeit. Sie will den Präzedenzfall – die Aufhebung der Sittenwidrigkeit. Und das strebt auch die regierende SPD an, zumindest deren Frauenministerin Christine Bergmann.
„Ich will die Prostitution nicht verherrlichen. Ich will, dass Frauen, die das freiwillig machen, nicht vom Staat gezwungen werden, kriminell zu sein.“ Weigmann hat die Sätze medienwirksam zurechtgelegt: Wären die Bordelle als normale Gewerbe angemeldet, könnte die Kripo gezielt kontrollieren und gegen die wirklich schlimmen Sachen wie Menschenhandel und Geldwäsche vorgehen. (In den Talkshows wird an dieser Stelle gern geklatscht). Die Frauen wären versichert, auch wenn sie mal krank sind.
Der Staat aber würde „Milliarden“ an Sozialhilfe sparen und ebenso viel mehr an Steuern einnehmen. „Warum schreibt das eigentlich niemand?“ Wie eine Löwin kämpft Felicitas Weigmann. Dabei wirkt sie eher rechtschaffen als glamourös. „Ich kam zu der Sache wie die Jungfrau zum Kinde“, sagt sie, und man nimmt es ihr ab. „Nie hätte ich gedacht, dass einem heutzutage wegen so was noch das Leben schwer gemacht wird. Das hat mich ehrlich aufgeregt.“
Das „Pssst!“ ist eine Bar wie viele Bars. Weiches Licht fällt auf die dunkelrote Tapete. Sanfter Pop mischt sich mit Zigarettenrauch. Man steht locker am Tresen, auf dem sich eine nackte Statue liegend präsentiert. Die Chefin flitzt in einer raubtiergemusterten, engen Hose und einem mädchenhaften Pullover herum und begrüßt die Gäste mit Vornamen. „Feli, ich hab dein Foto in der Mopo gesehen“, sagt einer.
Die Männer in Lederjacken, Mänteln, auch mit Schlips, trinken Bier, Wein, oder Bananensaft. Manche unterhalten sich über das Geschäft („Ich sag dir, 3.500 ohne Mehrwertsteuer.“), andere schauen einem der hübschen Mädchen tief in die Augen. Einer sitzt allein auf einem Barhocker. Aber nicht lange. Flugs stellen sich zwei Schöne dazu, betrachten sich in der verspiegelten Wand und beginnen ein unaufdringliches Gespräch („Ist nicht dein Ernst. Und was hat er gesagt?“).
„Sittenwidrig“ ist das, laut Bezirksamt. Am liebsten hätte man schon vor Weihnachten den Club zwangsgeschlossen: Gefahr für die Öffentlichkeit – „Anbahnungsgespräche“ verstoßen gegen das Gaststättengesetz. Früher hätte Felicitas Weigmann so eine Drohung vielleicht eingeschüchtert. Heute kennt sie sich aus. Das Verwaltungsgericht schützte sie und ihre acht Reinigungs- und Tresenkräfte vor der sofortigen Schließung, der Fall wird noch untersucht.
Mit ihrem Laden im Berliner Bezirk Wilmersdorf hatte Felicitas Weigmann von Anfang an Erfolg, weil er „so zwanglos und nett ist“. Bald berichteten Fernsehshows wie „Wa(h)re Liebe“ darüber – zu Werbezwecken, wie Felicitas Weigmann gern betont –, denn auch eine Bordellmutter muss schließlich „unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten“ arbeiten. Das „Pssst!“ wurde berühmt.
Aber eine Nachbarin sammelte schon Unterschriften gegen den „Schandfleck“ zwischen Keglerstuben und Frisör. Sie behauptete, auf dem Hof lägen Kondome herum. „Als würden die Freier raus rennen und sagen, ,Moment, ich muss mal mein Präser abstreifen‘ “, empört sich Frau Weigmann. Im Juli 1998 kam das erste Schreiben des Bezirksamts Wilmersdorf. Man drohte, ihr die Konzession zu entziehen. Sie mache sich der Förderung von Prostitution strafbar. „Die Kripo ist aus allen Wolken gefallen, als ich da angefragt habe“, lacht sie. „Es gab nämlich gar kein Ermittlungsverfahren gegen mich. Eine Frechheit, mir solche Angst einzujagen.“ Seitdem sammelt sie sämtliche Unterlagen.
„Gestern“, erzählt Weigmann, rief der Chef des benachbarten Ladens „Bonbon“ an. Vier Razzien habe er in der vergangenen Woche gehabt. Aber keiner der anderen Betreiber will wie sie die Karten offen legen. Die meisten haben mindestens die Besitzverhältnisse verschleiert. Damit, dass bei Felicitas Weigmann Zimmervermietung und Barkonzession unter ihrem Namen laufen, macht sie sich „angreifbar“, wie sie es formuliert. Aber es ist eben diese offenherzige Rechtschaffenheit, die ihren Propagandafeldzug für das Prostitutionsgewerbe unantastbar macht.
Prostitution ist in Deutschland nicht verboten. Bei einer Razzia hätten die Frauen, die bei ihr selbstständig arbeiten, kein Problem. Auch das Vermieten einer Wohnung wird geduldet. Es darf nur keine gesonderte Ausstattung vorhanden sein, und sie darf keine Präservative auslegen. „Und das im Zeitalter von Aids“, stöhnt Weigmann. Die Leute vom Bezirks-amt haben sich ihre Zimmer einmal angesehen. „Wider besseren Wissens“, konstatierten sie laut Weigmann schriftlich, in jedem Zimmer sei ein Fernseher für Pornos, ein Whirlpool und Präservative. Wen würde das nicht empören? „Da fing ich an, den Glauben an die Behörden zu verlieren.“
Das Bezirksamt sagt, es müsse auf öffentlichen Druck reagieren. Und den habe Frau Weigmann schließlich selbst erzeugt. „Unter der grünen Stadträtin mussten die auch nicht reagieren“, sagt sie. „Und die von der SPD – die wollen doch selbst die Entkriminalisierung. Ich lasse mir nicht den Mund verbieten. Sonst wäre ich längst weg.“
Mit sechzehn Jahren ist Felicitas Weigmann das erste Mal auf den Strich an der Kurfürstenstraße gegangen – „aus Erlebnishunger“. Nie habe sie Drogen genommen, nie geraucht und nie gesoffen. „Ich wollte bloß nicht mein ganzes Leben von acht bis siebzehn Uhr arbeiten, nur weil die Gesellschaft das von mir erwartet“, sagt sie. Später probierte sie es als kaufmännische Angestellte, arbeitete sich hoch, eröffnete eine Kneipe, immer wenn sie gerade keinen Freund hatte, schaffte sie wieder an. „Ich hab mich so einsam und gefrustet gefühlt in diesem bürgerlichen Leben.“ Deshalb startete sie einen Begleitservice, der bald so gut lief, dass sie vor zwei Jahren in Wilmersdorf eröffnen konnte.
Heute kommt ihr die Geschäftserfahrung zugute. Zur Not will sie eine Milchbar eröffnen. Da greift das Gaststättengesetz nicht. Stattdessen reagieren auf diese sympathische Drohung sämtliche Medien. Aber noch hat das Verwaltungsgericht nicht entschieden, ob ihr die Konzession für das „Pssst!“ entzogen werden darf.
„Wenn der Richter mutig ist, haben wir gute Chancen“, sagt Felicitas Weigmann. Sie erzählt von einer Talkshow, zu der „diese wirklich schlimme Molly Luft“ geladen war: Selbst da hätten achtzig Prozent der Anrufer für die Abschaffung der Sittenwidrigkeit von Prostitution gestimmt. „Von fünftausend Anrufern!“ Sie lacht vergnügt: „Fünftausend.“
Vorn an der Bar sitzen Viktoria und Jasmin, beide zwanzig, und beißen in Knackwürste, die ihnen die Bedienung über den Tresen reicht. „Just for fun“ seien sie hier. Man unterhält sich, flirtet und geht dann irgendwann auf ein Zimmer, wenn man sich gefällt. „Die Leute sind so verklemmt, die gönnen einem das Glück nicht“, sagt Viktoria. Und Jasmin: „Die denken immer, man ist so elend und muss das machen“, die beiden lachen. „Dabei wird man doch zu nichts gezwungen.“
Gegen Mitternacht füllt sich der Laden zunehmend. Der einsame Mann ist derweil mit den beiden Schönen vertraut („Da hab ich so’n Ärger mit meiner Frau gekriegt“). Ein fliegender Händler kommt mit einem Koffer voll herrlicher Kleider herein. „Und ich dachte, das wär so ein schnuckliger Kunde“, kichert Felicitas Weigmann und zupft mit Vergnügen eine schwarze Robe aus dem Haufen. „Vielleicht zieh ich das morgen im Fernsehen an.
Bei der WDR-Talkshow trägt sie dann tatsächlich das lange samtene mit dem raffinierten Dekolleté. Felicitas Weigmann schlägt sich heroisch neben einem EU-Beamten, der die korrupte Kommission auffliegen ließ („Hat man Ihnen mal Geld geboten?“), und einem knöchernen Helden, der im Sudan Sklaven freikauft („Wie viel zahlen Sie denn für einen Menschen?“). Felicitas Weigmann genießt es, wenn die Moderatorin sie „so was wie eine Galionsfigur“ nennt. Denn irgendwie ist das ja fast dasselbe wie eine „berühmte Hure“.
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