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Antisemitismus:ein kultureller Code

Ende des vorigen Jahrhunderts kristallisierte sich in Österreich und Deutschland der moderne Antisemitismus heraus. Er war, wie der fortschrittliche liberale Politiker Theodor Barth betonte, keineswegs nur durch einen Hass auf das Jüdische gekennzeichnet. In Wirklichkeit waren Juden vor allem Symbole von Bildung, Freiheit und Menschlichkeit (so der Historiker Theodor Mommsen) – also zugleich auch Sündenböcke für die gesellschaftlichen Umwälzungen, die der junge Kapitalismus mit sich brachte.

Der israelischen Politologin Shulamith Volkov zufolge gerann während dieser Zeit der Antisemitismus (versus Emanzipation) zu einem kulturellen Code: Der Hass richtete sich nicht exklusiv auf Menschen, die als Juden erkennbar waren, sondern auf alle, die arm, anders und fremd schienen.

Einen argumentativen Ausweg, der die Ressentiments hätte auflösen können, gab es nicht. Den einen waren die Juden zu reich, zu großbürgerlich, zu weltgewandt, den anderen zu armselig, provinziell und weltverloren. Besonders reizte die nichtjüdische Bevölkerung der unbedingte Aufstiegswille der jüdischen Minderheit: Tatsächlich avancierten jüdische Österreicher oder Deutsche im Zuge ihrer Integration zu Anwälten, Finanzfachleuten, zu Kaufleuten oder Intellektuellen.

Der reiche Jude war eine reine Projektion, war das Objekt von Neid und Missgunst; der arme Jude erinnerte die Missgünstigen selbst daran, wie mies es ihnen geht. Schafften arme Juden den gesellschaftlichen Aufstieg, konnte das Ressentiment in Aggression umschlagen. Motto: Der hat es geschafft – mit wahrscheinlich unlauteren Mitteln.

Versteht man, wie Volkov, Antisemitismus als kulturellen Code, als Signalsystem, um kulturelle Muster zu strukturieren, werden Parallelen zur Jetztzeit erkennbar: Der Hass ostdeutscher Skinheads auf Ausländer ist in diesem Sinne nichts anderes als krasse Ablehnung des Fremden und Hass auf die Mobilität nichteinheimischer Menschen .

Haiders FPÖ bedient sich dieses Mechanismus geschickt: Einerseits suchte der FPÖ-Spitzenkader schon Ende der Achtzigerjahre das Gespräch mit der slowenischen Minderheit in seinem Bundesland Kärnten; andererseits ließen er und die Seinen während des Wahlkampfs im Herbst 1999 Plakate kleben, die Hass auf Ausländer schürten.

Die FPÖ brauchte im Übrigen nur an das anzuknüpfen, was die etablierte und damals regierende Sozialdemokratie schon eingefädelt hatte. Die SPÖ war es, die jede liberale und menschliche Einwanderungspolitik unterband, mehr noch: das Ressentiment wider die Migranten zu bedienen wusste. Ehe Haider & Co. populär wurden, hatte sich Österreich längst daran gewöhnt, dass Ausländer Parias sind – sofern sie nicht zur Gesellschaft derer gehören, die sich locker ein Billett für den Opernball leisten können.

Jan Feddersen

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