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Die Hauptstadt der Verweigerer

■ Erstmals hat die Zahl der Kriegsdienstverweigerer in Berlin die Zahl der einberufenen Rekruten überstiegen: Über 7.000 Männer verzichteten auf den Dienst an der Waffe

Außenminister Joschka Fischer verweigerte den Wehrdienst, Umweltminister Jürgen Trittin zog nach einem halben Jahr bei der Truppe die Arbeit im Kinderheim vor, Verteidigungsminister Rudolf Scharping wurde immerhin nach sechs Monaten wegen erheblicher Sehschwächen ausgemustert. Und auch die Wehrpflichtigen der Hauptstadt greifen neuerdings lieber zum Arzneischrank als zur Handgranate. Erstmals hat die Zahl der Kriegsdienstverweigerer in Berlin die Zahl der einberufenen Rekruten überstiegen.

Damit liegt Berlin voll im Trend – auf Bundeshöhe hat die Anzahl der Kriegsdienstverweigerer im Jahr 1999 ein Rekordhoch erreicht. Haben 1998 noch 6.415 Berliner den Dienst an der Waffe verweigert, so ist die Zahl im letzten Jahr auf 7.244 angestiegen. Ihren Einberufungsbefehl erhielten dagegen nur 7.048 junge Männer. Das Land Berlin leistet damit einen erheblichen Beitrag zum Anstieg der Verweigererquote.

In der gesamten Bundesrepublik ist die Zahl der Wehrpflichtigen, die einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt haben, auf 174.348 angewachsen. Das sind 2.691 Kriegsdienstverweigerer mehr als im Vorjahr. Die „Kampagne gegen Wehrpflicht“ sprach von einem „historischen Hoch“. Die Entscheidung von immer mehr Wehrpflichtigen gegen den Dienst an der Waffe sei ein Indiz für die Ablehnung der neuen Aufgaben wie des Kriegseinsatzes in Jugoslawien. Nun stehe die Debatte über die Verfassungsmäßigkeit der Wehrpflicht an, so ein Sprecher der „Kampagne“. Lediglich 170.000 der insgesamt 400.000 Wehrpflichtigen pro Jahrgang würden noch für den Wehrdienst gebraucht. „Nur noch jeder dritte Wehrpflichtige kann einberufen werden.“ Diese Praxis stehe im Widerspruch zum Grundgesetz, das den Ersatzdienst als Ausnahme und nicht als Regel vorsehe.

Eine Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums wies hingegen darauf hin, dass die Zahl der Kriegsdienstverweigerer in Berlin im Jahr 1998 im Vergleich zu 1997 um rund 500 gefallen sei. „Wir gehen von einem Kompensationseffekt aus.“ Zudem liege die Zahl der Verweigerer in der Hauptstadt prozentual gesehen unter dem Niveau der westdeutschen Bundesländer. Auch innerhalb Berlins macht das Bundesverteidigungsministerium Unterschiede zwischen Ost und West aus. Demnach wollen im Ostteil der Stadt mehr Männer zum Bund als in Westberlin.

Die Ursache der schwindenden Begeisterung für die Bundeswehr sieht man im Verteidigungsministerium in der veränderten Rolle der Armee. Insbesondere sei nicht auszuschließen, dass die Angst vor der Beteiligung an Auslandseinsätzen ausschlaggebend sei, obwohl diese für Wehrdienstleistende nicht vorgeschrieben sei. Auch die Debatten um die Zukunft der Bundeswehr und den Zivildienst würden die Entscheidungen beeinflussen. Schließlich würden finanzielle Gründe eine Rolle spielen.

Die Veränderungen bewegten sich allerdings im normalen Bereich, so die Sprecherin. Probleme, qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen, habe die Bundeswehr nicht. „Von einem dramatischen Anstieg kann keine Rede sein.“ Fur eine Abschaffung der Wehrpflicht gebe es keinen Grund: „Es gibt immer noch ausreichend junge Männer, die zur Bundeswehr wollen.“ Andreas Spannbauer

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