Dukatenvermehrung und Booze für lau

Aschenputtel auf Lesbisch, Enterpreis auf Sächsisch: Sat.1 fördert neuerdings Talente – und lud in Berlin zur Schau der Nachwuchskomiker. Letztlich aber ist Comedy in Deutschland wie Jazz in Deutschland . . . ■ Von Jenni Zylka

Eigentlich hat es Ingolf Lück schon richtig gesagt. Obwohl er Wert darauf legt, das es nur ein Zitat sei und zudem nicht von ihm: „Comedy im Fernsehen gibt es nicht, weil Fernsehleute plötzlich so gerne lachen. Sondern weil Sender plötzlich rechnen gelernt haben“. Genau. Der Goldesel Comedy scheißt momentan nun mal immer noch so dermaßen viele Dukaten, dass etwa Sat.1 u. a. jeden Freitag und RTL u. a. jeden Samstag ihr Abendprogramm nahezu komplett damit bestücken. Und da heißt es, schleunigst in die Zukunft und die Dukatenvermehrung zu investieren.

Sat.1 tut’s, und wie. „Sat.1 Talents“ heißt ein neu ins Leben gerufener Zusammenschluss verschiedener „Mentoren“ zur Nachwuchsförderung in den Bereichen Regie, Schauspiel, Autoren – und eben Comedy. Nico Hofmann (u. a. „Der Sandmann“) berät die hoffnungsvollen jungen Regietalente, Philip Weinges (Drehbuch für „Allein unter Frauen“) kümmert sich um Autoren und Autorinnen, Ann-Kathrin Kramer, bekannt durch die Straßenfeger „Callboys – Jede Lust hat ihren Preis“ und „Die Todesgrippe von Köln“ (jedenfalls bei Sat.1) ist die Ansprechpartnerin für noch zu entdeckende Schauspieltalente. Und jener eingangs schon erwähnte Ingolf Lück, durch „Formel Eins“, „Tina, wat kost’n die Kondome!“-Spot und „Wochenshow“ eine der berühmtesten Fernsehnasen, soll mit den Lustigen konferieren. Natürlich sucht Sat.1 auch Leute, die lustige Drehbücher, Formate und Rollen schreiben können. Lück ist aber für etwaige aktive Bühnen-Lustige zuständig.

Die neue Garde der Lustigen sind fürs Erste Stand-up-Comedians, und beim Sat.1-„Stand-Up-Club“ im „Kleine Revue“-Theater neben dem Berliner Friedrichstadtpalast sollen sie ihre Gags am amüsementinteressierten Publikum ausprobieren. Nachdem der stellvertretende Sat.1-Programmgeschäftsführer Martin Hoffmann sich also in Lobeshymnen über die Wichtigkeit einer kompetenten Nachwuchsförderung ergangen hat und Filmausschnitte, Quotenangaben, Martktanteile die Mentoren einführten, moderiert Lück sich durch eine Show mit sechs Gastkomikern. Die halten die Zukunft der Fernsehcomedy quasi in ihren zarten Händen. Konkrete Formate für den Nachwuchs, gesteht Lück, demnächst (wie seine „Wochenshow“-Kollegin Anke Engelke) auch mit eigener Sendung im Programm, gibt es gleichwohl noch nicht.

„Nur noch Datum, nackte Frau und Rätsel.“ Tätäää.

Erst mal habe man die Leute gefunden und zusammengebracht, man will auch aufpassen, dass keiner verheizt wird, aber viel Spaß hat das natürlich allen gemacht, und überhaupt, von wegen Nachwuchs – die sechs KandidatInnen, die aus einer weitaus größeren Bewerberanzahl herausgefischt wurden, schauen alle auf langjährige Bühnenwitzerfahrung zurück.

Eckart von Hirschhausen z. B. ist nicht nur Berliner und studierter Arzt, sondern kann lässig Gags aus der Hüfte schießen, zaubern und bezaubern. Die rund 200 Gäste lachen sich bei einer Geschichte über die neue Religion Internet schier kringelig, staunen beim Zeitungszerreißtrick und giggeln über jeden One-Liner: „Jetzt gibt es ja bald auch die Bild light – nur noch Datum, nackte Frau, Kreuzworträtsel.“ Tätäää.

Drauf haben sie’s alle, die Nachwüchse, machen die Pointenpausen an der richtigen Stelle, wissen, wann man etwas schmutzig sein darf, und binden fein die Zuschauer ein. In den Zwischenmoderationen fährt auch der notorische Lück zur Höchstform auf, führt den „Zehn-Rasierklingen-an-einer-Schnur-aus-dem-Mund-ziehen“-Trick vor und rennt über die Bühne wie ein Berserker . . .

Auftritt der Schauspielerin und Comedy-Schul-Absolventin Sia Korthaus: Sie erzählt das Märchen von Aschenputtel auf Lesbisch und mit einem hübschen holländischen Akzent. Der Amerikaner John Doyle macht nicht zu fiese Deutschenwitze, Mario Eckardt begeistert die Zuschauer, die ja immer das am liebsten mögen, was sie kennen, mit einer maschndroatzaunigen Enterpreis-Parodie. Der Duisburger Ludger K. zieht mit angenehmem Ruhrpotthumor seine Mitmenschen durch den Dreck. Und der noch blutjunge Berliner Kurt Krömer (25) mischt noch mal richtig auf – er spielt nicht nur herausragend authentisch seine Rolle als dämlicher Icke-ditte-Berliner, sondern auch noch überzeugend mit seiner Umgebung. Und die reagiert: Krömer beleidigt die Technik, prompt wird ihm das Licht ausgeknipst. Eine schöne neue Dimension, hoffentlich geht so was im Fernsehen nicht verloren.

Statt spontaner Stand-ups geprobtes Witzeerzählen

Denn die Zuschauer vor dem Fernseher lassen sich nicht so leicht einen erzählen, da wird ganz flugs das Zappknöpfchen gedrückt, und schon hat’s der Quotenzähler registriert. Und bei einem Etat von über einer halben Million Mark für das Sat.1-Talentkonzept, wie der Vizeprogrammchef stolz erzählt, will man natürlich mit dem Ergebnis vor allem die Quotencharts anführen.

Am Ende des „Stand-Up-Clubs“, der so heißt, obwohl die Darbietungen wenig von echtem, spontanem Stand-up, sondern viel von arbeitsintensiv eingeprobtem Witzeerzählen haben, sind die Zuschauer gut gelaunt – was auch so geplant war: Lück hatte vorher aus seinem Stand-up-Erfahrungsschatz geplaudert – „in Los Angeles ist das Publikum immer besoffen“. Und wie zur Unterstreichung läuft während des Programms jede Menge weiß gekleidetes Bedienpersonal mit Tabletts herum – voller Booze für lau.

Und nach der Show übendie Neuen Bekanntsein

Dass Menschen betrunken besser und öfter lachen können, ist bestimmt überall auf der Welt gleich, außer vielleicht in besonders kalten Regionen Russlands oder Finnlands. Aber ein Phänomen ist einzigartig: Comedy in Deutschland ist wie Jazz in Deutschland. Auf der ganzen Welt kann man zu Jazzkonzerten gehen und im Publikum eine bunt gemischte junge und alte, hippe und traditionelle, swingende Jazzgemeinde finden. Nur hierzulande sitzen im Zuschauerraum fast ausschließlich ältere, bärtige, komplizierte, verklemmte, ganz sacht und bloß nicht zu forsch herumzuckende, weiße Herren. Ähnlich gehen auf der ganzen Welt Menschen zu Stand-up-Comedys, die auch vor und nach der Show kichern und albern sein können. Nur in Deutschland hat man oft den Eindruck, die Zuschauer von Comedy und Kabarett hätten im täglichen Leben nicht viel zu lachen.

Nach der Show laufen die designierten Sat.1-Comedy-Stars im Publikum herum und üben Bekanntsein. „Man muss nur aufpassen“, sagt der Zauber-Witzemann von Hirschhausen, „dass man seine Gags nicht plötzlich bei der ‚Wochenshow‘ sieht.“ Und auf die Frage nach dem Durchbruch antwortet der approbierte Arzt lakonisch: „Durchbruch? Da denk ich an Blinddarm.“ So einfach ist das.