Berlin ist die Hauptstadt der Umweltmuffel

■ Berlin engagiert sich nur mäßig im Naturschutz. Nun droht die EU mit der Einfrierung von etwa einer Milliarde Mark Fördermitteln

Im Schnitt gibt es in europäischen Ländern elf Prozent ausgewiesene Schutzgebiete, in Berlin sind es nur zwei

Einst Vorreiter des europäischen Umweltschutzes, ist Deutschland mittlerweile Sorgenkind der EU-Generaldirektion für Umweltschutz. „Natur ist für die Deutschen ein Modethema. In den Achtzigerjahren wurde es heiß diskutiert, mittlerweile hängt Deutschland weit zurück“, sagt Oliver Schall. Er betreut bei der Brüsseler Generaldirektion die Meldung von Naturschutzgebieten nach der europäischen Flora Fauna-Habitat-Richtlinie.

Und das ist anstrengend: „Eigentlich habe ich es in Deutschland mit 16 Ländern zu tun“, stöhnt Schall. Und die sind beim Naturschutz nicht gerade engagiert. Schon 1995 hätten die Bundesländer alle Gebiete melden müssen, in denen seltene Pflanzen und Tiere leben. Sie haben es aber größtenteils nicht getan. Deswegen verklagte die EU-Kommission Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof. Seitdem bemüht sich die Umweltkommissarin der Staatengemeinschaft, die Schwedin Margot Wallström, besonders um die säumigen Deutschen. Anfang Februar warb sie auf einer kurzen Tour durch die Bundesrepublik um Verständnis: „Im Durchschnitt haben die EU-Staaten 11,3 Prozent ihrer Fläche als Schutzgebiete ausgewiesen, Deutschland nur 1,6 Prozent“.

Berlin ist da keine Ausnahme: Knapp 2 Prozent hat die Hauptstadt als schützenswert ausgewiesen. Der zuständige Referatsleiter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Christian Muhs, ist damit zufrieden: Das sei eine „ordentliche Zahl“. Hamburg hat zwar doppelt so viel ausgewiesen, aber Berlin habe „mehr Einwohner und mehr Siedlungsfläche“.

Der umweltpolitische Sprecher der Berliner Grünen, Hartwig Berger, ist mit den Bemühungen des Senats nicht zufrieden: Die Hauptstadtverwaltung habe nach dem Prinzip „Möglichst wenig Aufwand“ gehandelt und größtenteils nur die bisher bereits bestehenden Naturschutzgebiete nach Brüssel gemeldet. Größere zusammenhängende FFH-Areale gebe es dadurch in Berlin nicht. Außerdem seien in Frage kommende Gebiete, in denen Neubauten geplant sind, trotz der Pflicht zur Meldung gar nicht erst in die Liste aufgenommen worden. Ist ein Areal erst einmal als schützenswert deklariert, muss vor einer Nutzungsänderung nämlich eine Umweltverträglichkeitsstudie gemacht werden.

Nach Ansicht Bergers hat Berlin die EU-Richtlinie damit nicht eingehalten, es drohe die Kürzung dringend benötigter Fördermittel aus Brüssel. Die Kommission hat bereits gedroht, die Zuteilungen aus den Strukturfonds teilweise einzufrieren, wenn die Meldung von FFH-Gebieten weiter so nachlässig erfolgt. Allerdings, so betonte Wallström bei ihrer Deutschland-Visite, soll die Geldsperre nicht die gesamte Republik, sondern nur die säumigen Bundesländer betreffen.

Bis zur Berliner Finanzverwaltung scheint sich das noch nicht herumgesprochen zu haben. Sollten andere Bundesländer ihrer Meldepflicht nicht nachkommen, „dann wären auch wir davon betroffen“, sagt Pressesprecher Klaus Dittko. Sonst nicht, ist er überzeugt: Die Hauptstadt selbst habe die Auflagen der EU brav erfüllt. Das sieht auch Referatsleiter Muhs so. Das Bonner Umweltministerium habe die an der Liste der Berliner bisher nichts bemängelt und auch von der Generaldirektion in Brüssel gebe es „keine negative Rückmeldung“.

Berger rechnet hingegen mit einem herben Schlag für die Senatskasse: Eine Milliarde Mark aus den Töpfen für Bau- und Wirtschaftsförderung könnte Brüssel noch dieses Jahr den Berlinern verweigern, wenn die Stadt kein größeres Engagement bei der Meldung von Schutzgebieten zeige.

Auch Umweltschutzverbände fordern, weitere Gebiete zu prüfen, die als schützenswert in Frage kommen. Nach Angaben von Muhs hat die Senatsverwaltung das bisher nicht getan, sondern sich allein auf die Zuarbeit der Bezirke und der Umweltschutzorganisationen verlassen. Auch im Fall einer Nachmeldung wäre das wieder so: Bei der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN) wird eifrig an der Erstellung einer so genannten Shadow-List gearbeitet. Neben den gemeldeten Gebieten hat die BLN mindestens neun weitere Flächen in der Stadt ausgemacht, die nach der Brüsseler Richtlinie gemeldet werden müssten. Darunter sogar ein Gebäude: Die Spandauer Zitadelle sei das „wichtigste Überwinterungsquartier für Fledermäuse des nordostdeutschen Raumes“ und deshalb nach der FFH-Richtlinie zu melden.

Schall weiß an seinem Schreibtisch in der EU-Generaldirektion die Arbeit der deutschen Umweltschutzverbände zu schätzen: „Die meisten Shadow-Lists sind von bemerkenswerter fachlicher Qualität“, sagt er der taz. Die Verbände orientieren sich an den Kritierien eines Pariser Instituts, von dem Brüssel die Ländermeldungen prüfen lässt, und haben sich auf eine einheitliche Form geeinigt, in der sie ihre Ergebnisse zur Einrichtung von FFH-Gebieten vorlegen. Die wird allerdings nicht überall eingehalten: Für das Land Brandenburg legten die Naturschützer ein rund 4.000 Seiten starkes Gutachten über in Frage kommende Gebiete vor.

Dirk Hempel