: Fußball nach dem Kaugummiprinzip
Spielt der VfB Stuttgart wie sein Präsident Mayer-Vorfelder agiert? Beim 0:2 gegen die SpVgg Unterhaching deutet jedenfalls alles darauf hin ■ Aus Stuttgart Thilo Knott
Fußball ist solch ein einfach Ding. Von wegen Taktikschulung mit Magnetmännchen auf der Tafel, die kreuz und quer verschoben werden, um den Sinn der Raumdeckung zu erläutern. Nichts da mit eingehender Videoanalyse, um das Zustellen und Verschieben einzelner Mannschaftsteile zu veranschaulichen. Humbug ist auch der halbstündige Vortrag zur Einstellung auf die bevorstehende Begegnung. „Du musst ein Tor machen“, hat Karlheinz Förster, Sportdirektor beim VfB Stuttgart, erkannt. Und messerscharf geschlossen: „Wer kein Tor schießt, der kann auch nicht gewinnen.“
Gemünzt war Försters Vortrag zur Erkenntnistheorie des Fußballs freilich auf das eigene Team. Denn immerhin vollzog die SpVgg Unterhaching vor 18.500 Zuschauern im Neckarstadion den Umkehrschluss: Treffer von Altin Rraklli (67.) und Matthias Zimmermann (85.) besorgten dem Aufsteiger den ersten Auswärtssieg seiner Bundesliga-Historie, dem VfB Stuttgart aber die vierte Niederlage in Serie.
Gerhard Mayer-Vorfelder fand dieses Mal keine Zeit, das neunzigminütige Geschehen semifachgerecht einzuordnen. Der VfB-Präsident saß auf der Tribüne und schwieg hinterher. Kein Kommentar zu missliebigen Vertragsamateuren, kein Mobbing gegen Trainer Ralf Rangnick. Karlheinz Förster bemühte sich, das vorläufige Ergebnis zu sichern: „Ruhe muss in den Verein einkehren, wir müssen Ruhe bewahren.“
Das ist ein hehrer Wunsch, solange dem Verein noch ein Machtmensch vorsteht, dessen emotionale Ausbrüche kaum in einigermaßen rationale Bahnen gelenkt werden können. Beweise für die Unkontrolliertheit Mayer-Vorfelders gab es einige in der vergangenen Woche: Spieler- und Trainerschelte, Rücktrittsankündigung mit anschließendem fadenscheinigem Dementi. Jetzt ist es immerhin so, dass das Ende Mayer-Vorfelders beim VfB Stuttgart absehbar ist. Der CDU-Mann plant den großen Karriere-Abschluss beim DFB. Willentlich zum einen, zwangsweise zum anderen, weil der VfB-Aufsichtsrat Mayer-Vorfelder kaum mehr zur Wiederwahl als Vorsteher im Herbst feilbieten wird. Der Aufsichtsratsvorsitzende Heinz Bandke hat schon angekündigt: „Wenn sich der Präsident für den DFB entscheidet, wäre das für alle Seiten wohl die beste Lösung.“
Doch neben die Führungskrise gesellt sich beim VfB nach der Niederlage in Unterhaching noch eine sportive. Kaum größer hätte die Diskrepanz sein können zwischen der Vorstellung des Systemtheoretikers Ralf Rangnick von modernem Fußball und der verheerenden Umsetzung seines Teams. Zwar besetzte Stuttgarts Trainer neben drei Stürmern (Viorel Gantea, Sean Dundee, Roberto Pinto) immerhin die Mittelfeld-Kreativität mit Krassimir Balakow und Krisztian Lisztes gleich doppelt, doch an Konzeptlosigkeit waren die Offensivversuche des VfB nicht mehr zu überbieten. „Herausgespielte Chancen habe ich so gut wie keine gesehen“, musste Rangnick sichtlich ernüchtert feststellen. Gefehlt hat, was Trainer und Spieler unisono als „Kompaktheit“ bezeichnen. „Irgendwann ging alles auseinander wie ein Kaugummi“, hat Thomas Berthold vernommen.
Einen direkten Zusammenhang zwischen Turbulenzen abseits und Tohuwabohu auf dem Platz wollte natürlich niemand sehen. Spielt der VfB wie sein Präsident agiert? Schon aus pädagogischen Gründen musste Sportdirektor Förster verneinen: „Die Unruhe im Verein werde ich als Alibi für die schlechte Leistung nicht akzeptieren.“ Immerhin meinte Ralf Rangnick: „Wir müssen uns auf das Wesentliche, den Fußball, konzentrieren – und alles andere von der Mannschaft fern halten.“ Alles andere? Mayer-Vorfelder also fern halten? Bloß kein neuerliches Verbal-Eigentor hinnehmen, nur weil der Noch-Patron vom Wasen meint, er müsse seinen über 25 Jahre Präsidentschaft gesammelten Fußballverstand veräußern? Karlheinz Förster würde wohl sagen: Wer ins eigene Tor schießt, der gewinnt erst recht nicht. Fußball kann wirklich einfach sein.
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