: Zwischen Burgfrieden und Sprechblasen
Mit zwei farb- und glücklosen Ministern und einer nicht gerade populären Politik gehen die schleswig-holsteinischen Grünen in die Landtagswahl am Sonntag. Meinungsforscher halten denn auch ein Scheitern an der Fünfprozenthürde für durchaus möglich ■ Aus Kiel Heike Haarhoff
Vom Büro der schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin ist es schwer, ein Schiff in der Kieler Förde zu übersehen. Dennoch ignorierte Heide Simonis das Segelboot, das Anfang der Woche unmittelbar vor ihrem Regierungssitz festmachte, hatte keinen Blick für seine Mannschaft und deren Botschaft: „Flagge zeigen: Rot + Grün wählen.“
In großen Lettern und zwischen zwei Masten hatten 150 Mitglieder einer Wählerinitiative, darunter der Nobelpreisträger Günter Grass, der Schauspieler Franz Rampelmann, bekannt als Olaf Kling aus der Lindenstraße, Gewerkschaftsführer und Umweltschützer, ihren Aufruf zur Landtagswahl am 27. Februar hissen lassen. Die 2,1 Millionen Wahlberechtigten haben dann erstmals die Möglichkeit, ihre Stimmen zwischen zwei Parteien zu splitten. Bislang gab es die Zweitstimme im nördlichsten Bundesland nicht.
„Toll, ganz toll“, bejubelte Irene Fröhlich, Fraktionschefin der Grünen im Kieler Landtag, die Aktion vom Ufer aus. Aus gutem Grund: Besonders die Grünen sind auf die Zweitstimmen angewiesen, wollen sie die Fünf-Prozent-Hürde doch noch nehmen und das rot-grüne Regierungsbündnis fortsetzen. Heide Simonis dagegen blieb weg, entsandte für die SPD nicht einmal einen Vertreter. Die Regierungschefin hat in den vergangenen vier Jahren nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihr nicht eben viel liegt am kleinen Koalitionspartner. Mal erklärte sie, beim Anblick Fröhlichs bekäme sie Pickel, mal machte sie den glücklosen grünen Umweltminister Rainder Steenblock vor laufenden Kameras zur Schnecke. Diesmal scheint sie sich bereits darauf eingestellt zu haben, was Meinungsforscher für möglich halten: dass die Grünen draußen bleiben. Dass es dann trotz Parteien- und Spendenskandals entweder zu einer CDU-FDP-Koalition kommt oder zu einer vom Südschleswigschen Wählerverband tolerierten SPD-Minderheitsregierung.
„Die SPD hat immer noch Schwierigkeiten, Rot-Grün als Bündnis zu repräsentieren“, Irene Fröhlich versucht, gelassen zu klingen. Dabei kommt es für die Ökopartei dieser Tage knüppeldick: Obwohl die Grünen nicht in eine einzige der zahlreichen Politaffären verwickelt sind, verzeichnen die Umfragen keine Zuwächse für sie.
Dem vermag auch die im Endspurt des Wahlkampfs aus Berlin herangeeilte grüne Bundesprominenz wenig entgegenzusetzen. Zwar kommen die Menschen in Scharen, wenn der Marathonläufer Joschka Fischer zum Joggen um den malerisch gelegenen Plöner See einlädt. Doch eher, „um den Außenminister mal von nahem zu sehen“, als den Mitläufer an Fischers Seite, Rainder Steenblock, zur Kenntnis zu nehmen.
Mit ihrer Politik haben sich die Grünen im Land nicht eben beliebt gemacht. Egal ob beim Streit um die Ostseeautobahn, den Nationalpark Wattenmeer, die Parkplätze am Strand von St. Peter Ording oder die Verantwortung für die Ölkatastrophe vor der Nordseeinsel Amrum nach der Havarie der „Pallas“ – immer hatte der Schuldige einen Namen: Steenblock. Ob er nun tatsächlich zuständig war oder nicht, spielte keine Rolle.
Die interne Zerfleischung erfolgte auf dem Fuß: Steenblock „und seinen Realos“ gehe es „um puren Machterhalt“, Steenblock pflege „Männerseilschaften“, er müsse zurücktreten und mit ihm am besten auch die farblose grüne Frauenministerin Angelika Birk, von der man „außer Chaos nichts“ höre, hieß es. In der Hochphase des Streits um die Frage, ob sich fundamentale Oppositionspolitik auf der Regierungsbank machen lässt, kam es vor gut einem Jahr zu Handgreiflichkeiten zwischen Fraktionschefin Fröhlich und der Abgeordneten Adelheid Brüchmann-Nikolay. Letztere hat als „Opfer diverser Intrigen“ die Grünen mittlerweile verlassen. Landeschef Peter Swane forderte daraufhin „die Einsetzung eines Mobbingbeauftragten“. Die Grünen in Schleswig-Holstein, von denen die wenigsten originär aus der Umweltbewegung kommen, „haben ihre Art der Konfliktbewältigung aus ihrer marxistisch-leninistischen Vergangenheit nahtlos in die grüne Partei übertragen“, klagt der grüne Energiestaatssekretär Willi Voigt, selbst Ex-K-Gruppen-Mitglied. Erfolge rot-grüner Regierungsarbeit wie die Senkung der Arbeitslosigkeit, der rasante Ausbau regenerativer Energien oder der Boom im Telekommunikationsbereich werden, wenn überhaupt, nur selten den Grünen zugute gehalten.
Peter Swane derweil will von all den Zerwürfnissen heute nichts mehr wissen: „Die jahrelangen internen Streitereien sind beigelegt“, verkündet er stolz. Ein wenig später fallen ihm Gründe für den plötzlichen Burgfrieden ein: „Uns haben nach dem Kosovo-Krieg und dem Ärger um den Atomausstieg einige Leute verlassen.“ Selbst „ganz gemäßigte Linke wurden rausgeekelt“, sagt der Grüne Ralf Henze, der seit dem umstrittenen Kosovo-Parteitagsbeschluss ein alternatives Netzwerk im Internet für frustrierte Ex- und Noch-Grüne betreibt.
Nicht ein einziger der drei Atommeiler im Land ging in vier Jahren grüner Regierungsbeteiligung vom Netz. „Ich wähle entweder PDS oder gar nicht“, drohen denn auch ehemalige Grünen-Anhänger Bundesumweltminister Jürgen Trittin auf einer Wahlkampfveranstaltung in Geesthacht. Ausgerechnet wenige Kilometer vom Reaktor Krümmel entfernt verteidigt Trittin Zwischenlager für Atommüll auf AKW-Gelände. Trittin versteht die Botschaft: „Eine gute Logik ist das, Hauptsache, die Grünen werden abgestraft“, ruft er in den Saal. Dann holt er zum Gegenschlag aus. „Auch ihr werdet euch zu dem real existierenden Atommüll real verhalten müssen und nicht nur in Sprechblasen.“ Sinken die Grünen unter fünf Prozent, könnte er damit schon bald verdammt recht haben.
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