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Aktienrausch als Sozialtechnik

betr.: „Die neuen Tellerwäscher“ (Hannes Koch), „Den Letzten holt der Teufel“ (Barbara Dribbusch), taz vom 21. 2. 00

Im Oktober 1998 wurden Verhandlungen über das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI) abgebrochen, und im Dezmber 1999 scheiterte die „Millenniumsrunde“ der Welthandelsorganisation in Seattle. Beides ereignete sich auf Grund massiven Widerstands, vor allem aus der Dritten Welt. Getragen wurde dieser Widerstand von Bäuerinnen und Bauern, Frauen-, Umwelt-, Arbeitslosengruppen, Gewerkschaften, Frauen und Männern aus Wissenschaft und Kultur, nicht aber von Aktienberauschten.

Sie interessiert vor allem hohe Dividende, also hohe Unternehmensprofite, weniger Mensch und Natur. So werden sie nicht nur vom Widerstand gegen Konzernherrschaft abgehalten, sondern auch noch als gesellschaftliche Claqueure einer kleinen radikalen Minderheit eingesetzt, von denen einige bereits mehr Geld zusammengescheffelt haben als an die 50 Volkswirtschaften der Dritten Welt zusammen erwirtschaften. Der Aktienrausch wird somit zur Sozialtechnik: Nachhaltige Entwicklung wird auf immer mehr Widerstand stoßen, weil immer mehr Aktienberauschten vorgekaukelt wird, weltweite Konzernherrschaft würde ihren Interessen am ehesten dienen.

Axel Goldau, Kritische Ökologie, Berlin

Aktienanfänger sind nicht nur „hunderttausende von Kleinanlegern“, die „an Wohnzimmertischen über Für und Wider der Aktienanlage streiten“, sondern auch die taz selbst. Etwa fünf, ach was, acht Jahre nach dem Beginn der „Euphorie“ macht ihr sie nun endlich auch zum Thema; danke vielmals, aber da ziehe ich doch das Handelsblatt vor. Dort finden sich jedenfalls keine so plumpen Argumente wie in Eurem „Pro und Contra“. Hannes Koch scheint es jedenfalls nicht einzuleuchten, dass nur der investieren kann, der auch was übrig hat. Traumgewinne von 10.000 Prozent machen nur ganz wenige Spieler, für alle anderen bleibt es ein nettes Zubrot, aber nicht der Aufstieg in eine höhere soziale Klasse! Und Barbara Dribbusch gibt sich doch tatsächlich die Blöße des Vergleichs mit dem Pilotenspiel. Dabei weiß jeder Börsenanfänger, dass Aktienkursen durchaus reale Gewinne zu Grunde liegen – und wenn die drastisch steigen, dann bitte auch der Kurs, da ist rein gar nichts Pilotiges dran.

Gebt euch bitte etwas mehr Mühe, damit ich mich nicht so ärgern muss. Eine Schlussfolgerung habe ich dann doch gezogen: Wenn selbst die taz schon über Aktien schreibt, dann nähert sich die Hausse ganz unzweifelhaft ihrem Ende. Tilo Barz

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