piwik no script img

In zehn Jahren vom Wohnungsmangel zum Überfluss

In Ostdeutschland stehen fast eine Million Wohnungen leer. Eine Expertenkommission der Bundesregierung soll bis zum Herbst Lösungen vorschlagen, die möglichst nichts kosten

Berlin (taz) – Den ostdeutschen Wohnungsunternehmen gehen die Mieter aus: Über 13 Prozent aller Wohnungen in den neuen Ländern stehen leer, in einzelnen Städten liegt die Leerstandsquote sogar über 30 Prozent. Die Folgen sind für alle Beteiligten dramatisch: Die Vermieter haben Millionenverluste, die Städte befürchten soziale Brennpunkte, und Bewohner leer gezogener Häuser fühlen sich isoliert.

Um Lösungen für die Misere zu finden, setzten Bauminister Reinhard Klimmt (SPD) und der Staatsminister für den Aufbau Ost, Rolf Schwanitz (SPD), gestern eine Expertenkommission ein, deren Mitglieder alle Seiten der Leerstandsproblematik kennen. Unter Vorsitz des früheren Leipziger Bürgermeisters Hinrich Lehmann-Grube sollen Wohnungspolitiker aller Couleur, Stadtplaner und Kreditgeber bis zum Herbst gemeinsam analysieren, wie die Probleme zukünftig gelöst werden können.

Pauschale Vorschläge sind jedoch nicht gefragt, denn die Vermietungsschwierigkeiten unterscheiden sich sowohl in den einzelnen Regionen als auch zwischen Alt- und Neubauten. Die Frage nach den Ursachen gestaltet sich schon einfacher, denn diese sind seit langem bekannt: Viele Industriezentren aus DDR-Zeit, die heute mit Strukturproblemen kämpfen, leiden unter erheblichen Bevölkerungsverlusten – die Stadt Halle verlor allein 1998 fast drei Prozent ihrer Einwohner.

Gleichzeitig wurden infolge großzügiger Abschreibungsmöglichkeiten seit 1992 rund 800.000 Wohnungen neu gebaut und mit Milliardenkrediten über die Hälfte aller Alt- und Neubaubestände modernisiert.

Seit der Wende entwickelte sich so aus der Mangelwirtschaft ein Wohnungsüberfluss. Dies freut zwar die Mieter, da die Mietkosten eher sinken als steigen, treibt jedoch viele Wohnungsunternehmen an den Rand des Konkurses.

„Viele Unternehmen können wegen fehlender Mieteinnahmen nicht mehr in Sanierung, Außenraumgestaltung, Service oder Image investieren, um ihre Mieter zu halten“, so Manfred Neuhöfer, Pressesprecher des Verbands der deutschen Wohnungswirtschaft (GdW). Er begrüßt deshalb die Arbeit der Kommission, „auch wenn sie einige Jahre früher hätte starten können“.

Wenig Hoffnung macht Bauminister Klimmt auf eine höhere Förderung für betroffene Städte und Unternehmen: „Die bisherigen Mittel und das Programm ‚Soziale Stadt‘ sollten ausreichen. Wir erwarten Vorschläge für politische Maßnahmen.“

Die Novellierung des Altschuldenhilfegesetzes, die am morgigen Donnerstag ansteht, ist ein weiterer Versuch der Bundesregierung, der ostdeutschen Wohnungswirtschaft die Geldsorgen zu mildern. Wohnungsunternehmen, die keine Chance auf weitere Verkäufe sehen, sollen künftig beantragen können, vorzeitig aus der Pflicht entlassen zu werden, 15 Prozent ihrer Wohnungsbestände vom Jahr 2003 zu privatisieren. Für die Betroffenen sind die neuen Bestimmungen allerdings nur „Steine statt Brot“. Ludwig Burkardt, Vorstand des Berlin-Brandenburgischen Verbands der Wohnungsunternehmen, fordert ein höheres Entgegenkommen des Bundes, um seine Mitglieder vor dem Konkurs zu retten. Katja Trippel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen