: Urteil: CSUler darf für den Augenblick rasen
Staatsanwaltschaft legt Revision gegen einen ziemlich rätselhaften Freispruch ein
Kempten/Sonthofen (taz) – An den Wirtshaustischen im Allgäu wird derzeit heftig über einen Vorfall vom letzten September diskutiert. Damals bretterte der CSU-Landtagsabgeordnete Josef Zengerle mit 89 km/h durch eine Radarkontrolle in der Gemeinde Vorderhindelang. 50 Sachen waren erlaubt. Es folgte zunächst, was folgen muss: 200 Mark Bußgeld und ein Monat Führerscheinentzug.
Doch Zengerle legte Widerspruch ein und fand jüngst bei der Verhandlung desselben einen milden Richter. Der gestand dem CSU-Politiker ein „Augenblicksversagen“ zu und hob das Fahrverbot auf. Eine entsprechende Meldung erschien wenig später in der Lokalzeitung, daraufhin folgte eine Woge der Entrüstung. Von zweierlei Maß, mit dem nach wie vor in Bayern gemessen werde, ist seither viel die Rede. Und immer wieder wird daran erinnert, dass der Oberallgäuer Landrat Gebhard Kaiser vor zwei Jahren an gleicher Stelle mit 83 km/h geblitzt wurde. Kaiser freilich gab damals brav seinen Führerschein für vier Wochen ab und fuhr demonstrativ mit der Bahn.
Jetzt wird im Allgäu allenthalben Gerechtigkeit eingefordert. Und die will auch der Leitende Oberstaatsanwalt Günther Meltendorf. Er bestätigte inzwischen, dass er beim zuständigen Senat des Bayerischen Obersten Landesgerichts Rechtsbeschwerde gegen den Freispruch einlegen wird. Man könne ein Fahrverbot gleich vergessen, wenn man einmal anfange, jemanden ein Augenblicksversagen zuzubilligen, meint Meltendorf.
Der Verkehrssünder Zengerle selbst war von der Gerichtsentscheidung ebenfalls überrascht. Er habe von Augenblicksversagen auch noch nie etwas gehört. Den Widerspruch habe er eingelegt, um weiterhin seine kranke Frau in einer entfernten Klinik besuchen zu können. Heute würde er allerdings, angesichts der öffentlichen Verärgerung, auf einen Widerspruch verzichten.
Klaus Wittmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen