: Die Schuld des Schicksals
Anthony Minghellas Film „Der talentierte Mr. Ripley“ ist eine nicht ganz unverdächtige Umschreibung des Highsmith-Romans: Vom subversiven Betrüger zum Homosexuellen, vom Kalkül zur Triebhandlung ■ Von Elisabeth Bronfen
Die schwarze Leinwand zersetzt sich langsam in Bruchstücke, und an die Stelle der dunklen Fläche tritt allmählich das Gesicht Matt Damons. Von Anfang an lässt Anthony Minghella keinen Zweifel aufkommen. Sein Mr. Ripley ist nicht nur eine Figur, die plötzlich aus dem Nichts auftritt, ohne seine Herkunft oder seine wahre Identität preiszugeben. Beim eingeblendeten Titel werden zudem alle möglichen Attribute durchgespielt, bis bei dem Wort „talentiert“ der Suchlauf endlich anhält. Aus dem Off hören wir die Stimme des Helden sich fragen, was es bedeuten würde, an den Anfang dieser verhängnisvollen Liebesgeschichte zurückzukehren und alles wieder auszulöschen. Streng symmetrisch konzipiert, hört diese Verfilmung von Patricia Highsmith’ Roman denn auch mit einem letzten Blick auf den grübelnden Tom Ripley auf. Nachdem er im Affekt drei Menschen ermordet und einen vierten nur zufällig verschont hat, wird er wieder im Dunkeln verschwinden. Seinem letzten Opfer erklärt er kurz vor der Tötung, er habe sich vorgenommen, lieber ein falscher Jemand zu sein als ein wirklicher Niemand.
Erfolgreich sich neu zu entwerfen hat immer seinen Preis. Tom Ripley ist nach Italien gereist, um im Auftrag des Schifffahrtunternehmers Mr. Greenleaf dessen Sohn davon zu überzeugen, nach New York zurückzukehren. Doch in dem sich ungehemmt dem Genuss und der Eigenliebe hingebenden Dickie entdeckt er jene Idealgestalt, die er gerne selbst sein würde. Wie so oft in den Literaturverfilmungen der letzten Jahre wird die in der Vorlage nur angedeutete Sexualisierung des Helden explizit zur Schau gestellt. Minghellas Film läuft auf das unumgängliche Schicksal einer bedingungslos narzisstischen Homosexualität hinaus. Die Idealfigur kann sein Tom Ripley sich nur aneignen, indem er ihr das eigene Leben nimmt, dessen Gesicht auf dem Passfoto auskratzt und an seiner Stelle dessen Erbe antritt. Im Akt der romantischen Verschmelzung findet aber unwillkürlich eine weitere Auslöschung statt. Das abgelegte ursprüngliche Ich bleibt zumindest im Fantasieleben Tom Ripleys auch auf der Strecke. Und alles, was ihn daran erinnert, muss ebenfalls aus dem Weg geräumt werden.
Mit Patricia Highsmith’ Held, der für die Liebhaber ihrer Kriminalromane zum Inbegriff des sich über die Gesetze der bürgerlichen Konventionen stellenden poet maudit geworden ist, hat dieser Ripley natürlich wenig zu tun. Denn ihr Held ist weder hilflos vom Schicksal getrieben, noch tötet er wie der von Matt Damon gespielte Tom im Affekt. Seine Ablehnung der wohlhabenden New Yorker Gesellschaft, der er als Anhängsel reicher Freunde nur parasitär angehören kann, sowie sein Entschluss, sich mit Hilfe eines Mordes jenes soziale Ansehen zu verschaffen, das ihm seine kleinbürgerliche Herkunft verbietet, stellen eine ethische Geste dar: einen Akt, der sowohl der Fiktionalität aller das Subjekt in eine Gemeinschaft einbindenden Gesetze sichtbar macht, wie auch eine Befreiung aus den Beschränkungen, die diese Codes bedeuten.
Bleibt Matt Damons Ripley ein trauriger Gefangener der Dialektik zwischen wahrem Ich und angeeignetem Image, der aus Eifersucht oder Verzweiflung mordet, hatte sein literarisches Vorbild sich immer schon jenseits dieses Gegensatzes bewegt: Er ist ein selbstbemächtigter Betrüger, der von Anfang an, weil er an die konventionellen Gesetze nicht glaubt, den Gang der Ereignisse selbst in die Wege leitet, nichts dem Zufall überlässt, vorsätzlich einem Kalkül folgend tötet, während er sich als klassischer Paranoiker von den Vertretern des Gesetzes, das er überschreitet, permanent auch verfolgt glaubt. Highsmith verstand ihn als Künstler, dessen transgressives Verhalten ganz im Sinne der Verbrecher Gides oder Genets einem ästhetischen Akt gleichkommt, da es die moralische Banalität bürgerlicher Werte entlarvt.
Zwar hatte sie ihrem Ripley durchaus homosexuelle Züge verliehen, doch ihr Interesse lag eher darin, aufzuzeigen, wie die amerikanische Prüderie der Eisenhower-Jahre jegliche Abweichungen von einer festgelegten sexuellen Norm zu pathologisieren suchte, während Minghella die in Amerika weiterhin verbreitete Gleichstellung zwischen Homosexualität und Kriminalität stillschweigend übernimmt. Schmückt er mit seinem Film gerade die rachsüchtige Mordlust aus, die sich aus der krankhaften Eifersucht seines verliebten Ripley ergibt, hatte Highsmith jegliche romantische Sentimentalität verweigert. Ihr Held tötet nicht aus gekränkter Eitelkeit, sondern immer dann, wenn er sich in einer emotionalen Sackgasse befindet, für die die Beseitigung seines Gegners die einzige Lösung darstellt.
Für die im Film durchgespielte Vorstellung von Homosexualität ist bezeichnend, wie Minghella bezüglich Dickies Nachlass von der literarischen Vorlage radikal abweicht. Sein Tom wird nämlich auf Wunsch Mr. Greenleafs als Erbe eingesetzt – auf Grund früherer Gewalttaten seines Sohnes ist der Vater durchaus bereit, sich vorzustellen, dieser hätte den Tod seines Freundes Freddie Miles verursacht und sich aus Reue dann das Leben genommen.
Brisant an dieser Umschrift des Romans ist jedoch vor allem, dass somit dem homosexuellen Begehren Toms – das nicht zuletzt durch Dickies scharfe Zurückweisung eine abwegige Note erhält – ein kulturell sanktioniertes homoerotisches Bündnis zwischen Vater und Ersatzsohn entgegengehalten wird. Dieser Ripley hat, dem Anschein nach zumindest, immer im Auftrag des Vaters gehandelt und wird für seine Treue auch belohnt. Seine mörderischen Triebe sind, solange diese erfolgreich verborgen bleiben, mit dem Image des verlässlichen Sohnes nicht nur vereinbar. Sie stützen dieses regelrecht, denn jeweils besteht das Talent von Matt Damons Ripley darin, dass er sich von Kräften, die außerhalb seiner Macht liegen, leiten lässt. Schlussendlich wirken weder seine Homosexualität noch seine Kriminalität bedrohlich, denn er ist für die Transgressionen, die er verübt, nicht verantwortlich.
Die Tatsache, dass Highsmith’ Ripley hingegen das Testament selbst aufsetzt, das ihn Dickies Erbe antreten lassen wird, obgleich er sich der fatalen Konsequenzen, die diese Fälschung für ihn haben könnte, nur zu bewusst ist, zeigt, wie wenig ihr Held in einer Welt der glücklichen Zufälle und der schicksalhaften Triebhandlungen lebt. In Griechenland angekommen, erfährt er am Ende des Romans, dass Mr. Greenleaf das gefälschte Testament anerkennt. Doch seine stolze Freude darüber, dass er endlich die ersehnte finanzielle Unabhängigkeit und somit die Freiheit, sich seinen Vorstellungen entsprechend selbst zu entwerfen, erreicht hat, ist getrübt. Auch sein Erfolg hat einen Preis. Zwar nicht das von Minghella inszenierte Verschwinden im Nichts; dafür aber die ihn ewig heimsuchende paranoide Furcht, an jeder Straßenecke einen eingebildeten Polizisten anzutreffen.
Nun könnte man von einer Fehlinterpretation der literarischen Vorlage sprechen, die nicht allein auf die Besetzung des sich allzu sehr zurücknehmenden Matt Damon zurückzuführen ist: diesem knabenhaften ingenue, dem man weder sein Begehren für Dickie noch seine Mordlust an seiner Nebenbuhlerin, noch seine Nachahmung des verstorbenen Dickie recht abnehmen will. Eine der auffälligsten Unstimmigkeiten dieses Films besteht nämlich darin, dass Europa als Schauplatz für das Durchspielen verschiedener amerikanischer Mythen eingesetzt wird. Lässt Highsmith ihre Figuren nach Europa reisen, um eine Welt zu entdecken, die sich von der der amerikanischen Oberschicht ganz wesentlich unterscheidet, entspricht das Italien Minghellas nicht nur dem Idealbild der reichen Touristen. Die Geschichte des Jungen aus armen Verhältnissen, der, nachdem er ein Verbrechen begangen hat, an einen neuen Ort zieht, sich einen neuen Namen und eine neue Identität zulegt und ein angesehener, wohlhabender Bürger wird, gehört zum Kern des amerikanischen Traums, dessen Mythopoetik die erfolgreiche Selbsterfindung des Individuums zelebriert. Nur im Film Noir holt die verdrängte Vergangenheit den Helden immer ein, und auch dieses Genre macht deutlich, wie hartnäckig die Geschichten des amerikanischen Individuums von einer Verschränkung von Gewalt, Flucht und Selbstentwurf zehren. So lässt sich in Minghellas explizit sexuell gekennzeichnetem Ripley noch eine weitere Figur aus dem Bildrepertoire der amerikanischen Popularkultur entdecken – der homosexuelle spree killer, der uns beispielsweise in den Medienberichten über den vermeintlichen Mörder Versaces vorgeführt wurde: Andrew Cunanan, eine Figur, die sich das falsche Image des wohlhabenden, perfekt gestylten Modemenschen aneignen wollte, um die eigene Nichtigkeit, die mit der Verdrängung der Homosexuellen an die Ränder der amerikanischen Kultur einhergeht, zu überspielen. Und auch dies eine Figur, die alle kaltblütig beseitigt, die sie in diesem Unterfangen stören.
Doch Minghellas Vergreifen an der literarischen Vorlage Highsmith’ hat durchaus seinen eigenen Reiz. Sein künstlich stilisiertes Italien ist nämlich auch der Schauplatz, an dem Jude Law auf so charismatische Weise eine andere Figur aus dem Bildrepertoire des amerikanischen Traums aufleben lässt: den schönen, eitlen, wohlhabenden Amerikaner, der seine Umwelt und seine Mitmenschen kraft seines strahlenden Blickes verzaubern kann, in dem Augenblick, in dem er seine Gunst zurückzieht, jedoch eine grausame Kälte hinterlässt. In der Art, wie er sein eigenes körperliches Wohlbefinden auf diejenigen, die ihn vergöttern, wirken lässt, sich der eigenen unwiderstehlichen Wirkungskraft immer bewusst ist und deshalb auch jeden gnadenlos fallen lässt, sobald er ihn langweilt oder bedrängt, verkörpert er eine andere Variante der bedingungslosen Selbstliebe: einen Narzissmus, dessen erotischer Reiz von der Grausamkeit genährt wird, die unter der Oberfläche der glatten, arroganten Selbststilisierung lauert. Sein Beharren darauf, sich in seiner Lebenlust von niemandem beschränken zu lassen – weder von seinem Vater, der ihn an seine Pflicht als Sohn zu erinnern sucht, noch von seinen Geliebten, die von ihm Treue und Verlässlichkeit fordern –, zeigt eine Fähigkeit zur amoralen menschlichen Kälte, die einer Highsmith-Figur tatsächlich würdig ist. Neben ihm kann Damon nur zum matten Anhängsel verblassen, dessen einzige Möglichkeit, sich gegen diese Idealfigur, mit der er sich nicht messen kann, durchzusetzen, darin besteht, ihn wörtlich verschwinden zu lassen.
In der von ihrer Stimmung her überzeugendsten Szene des Films führt Dickie seinen frisch gewonnenen Freund Tom in ein Jazzlokal nach Neapel. Dort wird er von den italienischen Musikern aufgefordert, mit ihnen zu spielen. Das italienische Lied, das er mit seinem Saxophon begleitet, trägt den Titel „Tu vuo fa l’americano“ und feiert das Verlangen der Einheimischen, über eine Imitation der Zeichen der Amerikanisierung – Rock ’n’ Roll, Whiskey & Soda, Baseball – an der idealisierten anderen Kultur teilzuhaben. In der Hingabe an die Klänge des Jazz, die sowohl durch Jude Laws überschwengliche Begeisterung für diese typisch amerikanische Musik verkörpert wird, wie auch durch den Soundtrack, der nostalgisch an die großen Interpreten der 50er-Jahre erinnert, wird noch ein weiterer amerikanischer Mythos zelebriert: der anhaltende Wunsch der Europäer, sich das Image dieser kulturellen Weltmacht anzueignen. In diesem Sinne ist uns der langweilige Tom Ripley, der im Schatten des lustvoll musizierenden Dickie sich entweder von ihm mitreißen lässt oder traurig die Szene verlässt, um allein gelassen ein antikes römisches Denkmal zu bewundern, vielleicht näher, als uns lieb ist. Das mag von Seiten Minghellas eine Fehleinschätzung der unschlagbaren Begehrtheit des amerikanischen Images sein, aber eine, der wir heute durchaus mehr denn je aufsitzen.„Der talentierte Mr. Ripley“. Regie: Anthony Minghella. Mit: Matt Damon, Jude Law, Gwyneth Paltrow. USA 1999, 189 Minuten
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