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Illegale Siedlung will keinen Park

11.000 Menschen leben bei Madrid auf einem mittelalterlichen Viehtriebweg. Jetzt soll das Gelände zum Naturschutzgebiet erklärt werden ■ Aus Madrid Reiner Wandler

„Señora Elena“ kennen hier vor den Toren Madrids alle. Ob Gitanos – wie die Sinti und Roma in Spanien genannt werden – oder Payos – wie die Gitanos die anderen nennen –, sie setzen auf die quirlige Elena Martín. „Präsidentin der Koordination der Nachbarschaftsvereines der Cañada Real“ nennt sich die 42-Jährige. Die Cañadas Reales sind acht „königliche“ Viehtriebwege, die seit dem Mittelalter Spanien von Nord nach Süd durchziehen. Auf 15 Kilometern entlang der Hauptstadt haben 11.000 Menschen auf der Cañada Galiana, die vom nordspanischen Weinbaugebiet Rioja in die Extremadura führt, ihr Eigenheim gebaut.

Doch die spanische Regierung will aus der Siedlung ein Naturschutzgebiet machen. Die Cañadas Reales sind Gemeindeland und illegal bebaut. Und ein Gesetz vom Juni 1998 verbietet jedwede Aktivität auf den Cañadas: „Keine festen Bauten, keinen Müll, keine motorisierte Fahrzeuge“, zählt Elena auf. Wo bereits gebaut wurde, sollen die Bagger ran.

Eine Zeitbombe, die Parlamentarier und Regierung nicht wahrhaben wollen. Nur die Abgeordneten der kommunistischen Vereinigten Linken haben bisher den Weg hierher gefunden. In die Kneipe von Portu, um dort mit den Menschen zu reden, haben auch sie sich nicht getraut. „Wir werden auch ohne sie die Auseinandersetzung gewinnen“, sagt Elena. Ein Anwalt ist schon beauftragt.

Die Madrider Siedler sind längst zum Beispiel für andere Regionen Spaniens geworden. Auf über 100.000 schätzt Elena die Menschen, die landesweit das gleiche Problem haben. „Nie hat nur ein Hahn danach gekräht, und jetzt sagen die, wir seien illegal“, sagt Elena kopfschüttelnd, „dabei haben wir Strom, Wasser, Telefon. Der Schulbus holt unsere Kinder ab, und der Postbote kommt einmal am Tag.“ Die Anwohner bekommen seit Jahren regelmäßig gar einen Steuerbescheid für Immobilienbesitzer zugestellt.

Francisco Fernandez Goberna, der Anwalt von Elena und ihren Nachbarn, konnte die ersten Räumungsbescheide bislang wegen formaler Fehler abwenden. „Wir werden nicht gehen“, betont Elena abends in ihrer Stammkneipe. Und die Umstehenden nicken. Wie jeden Abend haben sich viele der Anwohner an der Theke des „Portu“ versammelt und schimpfen über „die dort oben“, die Stadtregierung im weit entfernten Zentrum, die ihre mühsam aufgebaute Existenz gefährdet. „Was ist das für ein Umweltschutz, der uns alles nehmen will?“, fragt Elena.

„Ich wohne seit 29 Jahren hier“, fällt ihr Manolo ins Wort. Der 54-jährige Gitano, der seinen Nachnamen nicht nennen will, hat sich mit allen möglichen Jobs durchs Leben geschlagen. Es ist ihm dabei nicht schlecht ergangen. Immerhin hat er es zu einer selbst gemauerten 200-Quadratmeter-Villa mit Terrasse und Swimmingpool gebracht. Im Jargon der Stadtverwaltung heißen die Häuser bloß „Slumhütten“.

„Wer hier in die Cañada kommt, der macht dies aus einer Notsituation heraus“, sagt Elena. Noch immer wächst die Siedlung monatlich um zehn Personen. Heute sind es meist Immigranten aus Marokko oder Lateinamerika. Doch hier draußen gibt es alle möglichen Leute. „Arbeiter, Angestellte, einen Architekten, Schrotthändler, ein Hotel, selbst Polizisten haben wir“, zählt Elena auf. Bei vielen weiß sie gar nicht, von was sie leben. Die Frage nach dem Broterwerb ist tabu. Dass so mancher mit lukrativerer Ware als mit Alteisen handelt, davon zeugen Prachtvillen und Luxuslimousinen.

„Die Grundstückspreise sind so hoch, und die Wohnungen in der Stadt sind unbezahlbar. Hier baust du immer dann weiter, wenn du etwas Geld hast“, erklärt Elena die Gründe der meisten Nachbarn, in der Cañada zu wohnen. Was Elenas Mann Eduardo, Maler von Beruf, in den letzten fünf Jahre in Eigenleistung aufgebaut hat, kann sich sehen lassen. Noch fehlen die Zimmertüren. Doch Küche, die zwei Bäder und die vier Zimmer sind fertig eingerichtet. Vidrokeramik, Computer, Couchgarnitur, nichts erinnert daran, dass das Paar einst aus Not kam.

Allerdings war auch hier der Boden – obwohl unveräußerliches Gemeindeland – nicht umsonst. Der Vorbesitzer kassierte 26.000 Mark. „Klar, nicht für das 1.600 Quadratmeter große Grundstück, sondern für den Zaun drumrum und eine kleine Barracke“, sagt Eduardo und grinst.

Eduardo war mit in der ersten Reihe, als im Herbst die Räumfahrzeuge anrückten und ein Haus am Rand der Siedlung niederreisen wollten. „Wir wussten uns zu wehren.“ Nach mehreren Stunden Prügelei zog die Polizei wieder ab. „Am nächsten Tag kam das Gerichtsurteil, das alles änderte“, erzählt Anwalt Fernandez Goberna, der an diesem Abend im „Portu“ vorbeischaut. Die Besitzer von ein paar Häusern auf der Cañada, die der Neubaustrecke eines Hochgeschwindigkeitszuges weichen mussten, hätten über 200.000 Mark als Entschädigung zugesprochen bekommen, berichtet der Anwalt. Ein Präzedenzfall. Bei 2.000 Häusern würde das knapp eine halbe Milliarde Mark machen. Welcher Investor könnte das bezahlen?“

Einen Vorschlag zur Güte haben die Anwohner auch schon. „Unser Teilstück sollte zur Bebauung freigegeben werden, dann würden wir die Grundstücke kaufen“, sagt die streitbare Frau. Und wenn Rathaus und Regioalregierung weiterhin auf stur schalten? „Dann legen wir die Müllabfuhr von ganz Madrid lahm“, antwortet Elena. Die Müllhalde und das Recyclingzentrum liegen in Sicht- und Riechweite von Elenas Haus. Zwar sind sie außerhalb der Cañada Real, aber 300 Lkws fahren täglich über die geteerte Straße vor Elenas Haus. Eine Alternative gibt es nicht. „Auch der motorisierte Verkehr auf der Cañada Real ist ja verboten. Es wäre ein leichtes, gegen die Stadtverwaltung eine einstweilige Verfügung zu erreichen“, droht der Anwalt und grinst dabei verschmitzt.

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