Der Stand der Dinge

Forced Entertainment überzeugen auf Kampnagel mit der Alltags-Performance „Dirty Work“  ■ Von Karin Liebe

Märchen sind einfach gestrickt. Sie fangen mit „Es war einmal“ an und hören mit „Und wenn sie nicht gestorben sind“ auf. Sie trennen fein säuberlich in Gut und Böse – und am Ende siegt natürlich immer das Gute. Forced Entertainment sind moderne Märchenerzähler. Ihre Geschichten sind einfach, aber ohne Moral. Sie erklären uns nicht die Welt, sondern berichten lapidar von den kleinen und großen Missgeschicken und Katastrophen, von Kriegen und Selbstmorden, vom Stolpern und Scheitern. Die britische Live-Art-Gruppe breitet in ihrer Verbal-Performance Dirty Work, die bis Samstag auf Kampnagel gas-tiert, ein Sammelsurium an manchmal dramatischen, manchmal banalen Kürzestgeschichten aus, die erst in der Aneinanderreihung eine eigentümliche Suggestivkraft entwickeln. Aus Hunderten von nüchternen Bestandsaufnahmen formiert sich nach und nach eine mitreißend melancholische Sichtweise auf die moderne Welt.

Manche Fetzen aus Dirty Work, dem schmutzigen Geschäft des Lebens, rufen sofort Bilder im Kopf des Zuschauers, oder besser: Zuhörers, hervor. Die Schlacht von Stalingrad: Eis, Schlamm, einzelne Körperteile. Ein Seiltänzer, der abstürzt. Ein Kind, das sich eine Plas-tiktüte über den Kopf zieht und erstickt. Andere Sätze strotzen vor Banalität: Ein Mann, der mit seinem Hund Gassi geht. Eine Frau, die einkauft.

Ähnlich vordergründig kann man auch von dieser Performance berichten: Ein Mann im grünen Hemd (Grün ist die Hoffnung) und eine Frau im violetten Abendkleid (Violett ist das Abgründige) erzählen auf einer kleinen Bühne allerlei Kuriositäten und Alltäglichkeiten. Sie sitzen beide auf einem einfachen Stuhl, umrahmt von violetten Vorhangfetzen. Eine weitere Frau im violetten Abendkleid bedient einen altertümlichen Plattenspieler. Ganz behutsam, nahezu lautlos öffnet und schließt sie den Deckel des Geräts und legt immer wieder die Plattennadel auf dieselbe Rille. Eine traurig-schöne Klaviermelodie ertönt, die zum Träumen animiert und die erzählten Katastrophen in ein weiches Licht taucht. So ist sie eben, die Welt: brutal und banal.

Forced Entertainment machen ihrem Ruf als eine der innovativsten Theatergruppen Großbritanniens alle Ehre. Obwohl sie sich ganz altmodisch auf die Ursprünge des Theaters, das klassische Geschichtenerzählen, besinnen. Ganz ohne das mittlerweile übliche Equipment aus Videoprojektionen und Computersounds und Lautsprechereffekten kommen sie aus. Und sind trotzdem hoch modern, weil ihre bruchstückhaften, widersprüchlichen, facettenreichen Anekdoten unsere bruchstückhafte, widersprüchliche, facettenreiche Welt widerspiegeln.

Dass hier klassisches Theater in fünf Akten gezeigt wird, behaupten die Akteure nur. Natürlich fällt kein Vorhang – dafür ist er viel zu zerstückelt. Eine Umbaupause ist auch nicht notwendig – drei Stühle und ein Tisch müssen nicht groß verrückt werden. Fünf Akte lang sitzen Robin Arthur, Claire Marshall und Cathy Naden fast regungslos auf ihren Stühlen und reden (die Schauspieler) und schweigen (die Plattenauflegerin). Nur einmal steht die Schauspielerin plötzlich auf und kündigt einen Zwischenakt an. In diesem kleinen Moment der Stille, so sagt sie, könne man den Atem des Nachbarn hören.

Und tatsächlich ist die Stille zwischen den einzeln akzentuierten Wörtern zu hören. Es hustet und niest und scharrt im Publikum, eine Frau hält sich erschrocken die Hand vor den Mund, weil ihr ein Rülpser entfahren ist. Dann tutet ein Martins-horn. Es erzählt von einem Unglück, einem Schwerkranken, einem Notfall da draußen in Barmbek. Bühne und Leben verbinden sich unerwartet zu einem Ganzen. Was kann es im Theater Schöneres – und Erschreckenderes – geben?

bis Sa, 26.2., ,k2, 20 Uhr