Die Web Street Boys

Sie suchen und finden für die Berlin-Hyper den Pop dieser Stadt: Die Kreativen von der Text-und Konzeptionsagentur Die Revolver

Berlin wird von der deutschen Werbebranche gepriesen wie einst der Mont Blanc von den Romantikern. Von „Pionierstimmung“ ist da die Rede und von den „Szenen“, die „inspirierend“ auf die „Kreativen“ wirken. Eine derartige Glorifizierung der Hauptstadt kann nicht folgenlos bleiben. Also tauchen in unzähligen Werbespots heiße Berliner Zeichen auf, wie die gelbe U-Bahn auf Trasse oder der Alexanderturm im Hintergrund. Und es siedeln sich Agenturen von Bundesliga-Format an. Namen wie Weber, Hodel, Schmid (Smart und Mediamarkt), die größte Agentur der Schweiz. Oder Neugründungen wie Aimaq Rapp Stolle, die Marken wie Nike und MTV betreuen.

„Hier wird ein extremes Kreativpotenzial vermutet. Gleichzeitig mangelt es in Berlin noch an professionellem Nachwuchs, und davon profitieren wir“, schätzt Tobias Schönpflug die Situation ein. Mit „wir“ meint er Die Revolver, deren Karriere mustergültig ist für eine ganze Generation von Kreativschmieden wie Lowdown oder The Unlimited. Sie alle leben davon, dass Kompetenz in Sachen jugendlichem Lifestyle sowohl von direkten Kunden als auch von den großen Agenturen dringend benötigt wird. Und sie stehen für eine Arbeitsweise, deren Ethos eine Dienstleistermentalität mit dem Realisieren unabhängiger Lebensentwürfe verbindet.

„Bei Anruf Wort“ lautet die Parole der Text- und Konzeptionsagentur Die Revolver. „Wir sind Studenten, die zwar günstig zu haben sind, aber arbeiten wie Profis. In der Werbung, fürs Fernsehen, im Journalismus“, hieß es im Revolver-Info vor zwei Jahren. Inzwischen sind Tagesverdienst und Anspruch gestiegen. „Unsere Oma würden wir aber immer noch nicht verkaufen. Der Spaß muss erhalten bleiben. Deshalb lautet unsere Vision: Arbeiten wie ein Dienstleister, leben wie eine Diva“, sagt Schönpflug. Der Werbewirtschaft in Crazy Berlin beschert solch ein Spruch feuchte Träume. Wo Pop-Milieus so eine große Rolle spielen, ist es doch toll, echte Popstars mit bürgerlichem Arbeitsethos in den eigenen Reihen zu haben.

Doch Theorie beiseite, Fakten her. Tobias Schönpflug und Bastian Schwarz hatten 1997 bereits diverse Jobs in Berliner Plattenfirmen, Zeitungen und Werbeagenturen hinter sich, als sie die Studentenagentur Die Revolver übernahmen. Der Name inklusive Werbetexter Oliver Frank war im „symbolischen Preis von keinem Bier“ (Schönpflug) mit inbegriffen. Als vierter reihte sich der Journalist Tobias Bauckhage in den Bund der Mittzwanziger ein. Auf einen Gesellschaftervertrag konnte man sich nicht einigen, so beließ man es auf dem Freiberufler-Konsens: Jeder Revolver ist ein selbstständiger Unternehmer.

Die Imagehülle wird durch radikales Networking gesponnen, eine Adresse haben die Revolver nur im World Wide Web. Probleme mit der Selbstdarstellung gibt es keine, trotz fehlendem Vorzeigebüro. Im Rückgriff auf ein Pop-Modell erfand man nämlich kurzerhand die „Kreativ-Boygroup“. Jeder spielt einen Charakter – so ist Schwarz der „verrückte Sympathische“, während Schönpflug als Repräsentant schon mal Anzug trägt. So formiert zu den Web Street Boys der Wortschöpfung, hatten die Revolver schnellen Erfolg. Für 104.6 RTL texten sie Funkspots, schreiben Artikel für Econy und lassen sich bei Aimaq Rapp Stolle anheuern. „Da darf man im Auftrag von Nike die Kiss FM Fuck You Hotline vollschimpfen“ so Schönpflug.

Zwei Jahre lang texteten die Revolver Moderationen für MTV und damit für das Medium, in dem sie die Zukunft der Agentur sehen. „Wahrscheinlich werden wir uns um einen Grafiker verstärken und ein freies Team für die Werbung bilden. Aber nur, um genügend Geld für unsere eigenen Projekte zu verdienen. Als nächstes wollen wir ein Drehbuch schreiben, eine Sitcom würde uns gut gefallen.“ Vielleicht erreichen die Revolver dieses Ziel ja bereits in den nächsten zwei bis drei Jahren. Das ist jene Zeitspanne, in der Schönpflug den Generationswechsel in der Berliner Werbung vermutet. „Bis dahin wird sich Berlin zur Hauptstadt der interessanten Kreativen entwickelt haben.“ Die Revolver aber träumen sich heraus aus Berlin – in den Regiestuhl die einen, in die südamerikanische Hängematte zum Drehbuchschreiben die anderen. Dazwischen liegt ohnehin nur das Web. Christoph Braun