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Am heißen Ende von Australien

Die Darwiner unterteilen ihre kurze, aber bewegte Geschichte in die Zeit vor und nach „Tracy“, dem Wirbelsturm. Krokodile und Bierdosenboot-Regatta sind die Attraktionen der Hafenstadt ■ Von Albrecht G. Schaefer

„Ha, die Story von ‚Tracy‘ und meiner Badewanne gefällt dir!“, lacht Robin Davy hinter seinem dichten Vollbart.

„Tracy“, das war der unvergessliche Wirbelsturm, der am 25. Dezember 1974 Darwin zu 90 Prozent platt machte. Und seine Badewanne fand mein Freund am Morgen nach diesem sehr unfröhlichen Weihnachten etwa 200 Meter von seinem halb weggerissenen Haus entfernt wieder. „Jetzt verrate ich dir aber ein Geheimnis“, schmunzelt Robin. „Noch sturzbesoffen vom Heiligabend-Punch hatte ich ,Tracy‘ glatt verschlafen. Nur gut, dass ich nicht in der Wanne übernachtet hatte ...!“

Mit ihm und seiner Frau Mo sitze ich auf der Terrasse ihres Hauses im Stadtteil Parap. Es ist eine dieser für den heißen Norden typischen Leichtbaukonstruktionen auf Stelzen. Eine Rundumverankerung aus Stahlrohr soll es sturmfest machen. Luftig und praktisch ist das Haus, weil man so viel Zeug darunter abstellen kann. Waschmaschine, Auto oder wie bei Robin und vielen anderen Darwinern ein kleines Boot. Vorteilhaft sind die Pfahlhäuser natürlich in „The Wet“, der echt nassen Jahreszeit von November bis April, wenn durchschnittlich 1.600 mm Regen fallen und die Zufahrtstraßen manchmal wochenlang unter Wasser stehen.

Meinen Besuch habe ich wohlweislich in „The Dry“ gelegt. Zirkaden zirpen, der jetzt im Juli angenehm kühle Nachtwind lässt die Palmwedel knistern, fliegende Hunde rascheln in den Bananenstauden.

Stück für Stück ist das bescheidene Eigenheim der Davys entstanden. Schön langsam, wie alles, was sich der Berufstaucher Robin und die Hebamme Mo in den fast 25 Jahren seit ihrer Auswanderung aus England angeschafft haben. „Easy going“, ganz im Rhythmus von Darwin am Top End des Fünften Kontinents, wo sie hängen geblieben waren. Tropische Hitze, die Nähe zu Asien, ein weites, wildes Hinterland und eine Luft, die nach Salz und Abenteuer schmeckt, das ist die richtige Mischung für die beiden. Auch noch, nachdem „Tracy“ über sie hergefallen war. 65 Menschen starben damals. Robin und Mo aber waren unter denen, die aus den Notunterkünften zurückkamen, zusammensuchten, was nicht völlig verbogen, verbrannt und zerbröselt war, und begannen, Darwin wieder aufzubauen.

Auch vor „Tracy“ war Darwins Bevölkerung vom Schicksal gebeutelt worden. Begonnen hatte die Stadtgeschichte 1839, als Kapitän Wickham zu Ehren seines berühmten Passagiers Charles Darwin auf der „Beagle“ den idealen Naturhafen „Port Darwin“ getauft hatte. Der 30 Jahre später gegründete Pionierposten war erst infolge eines Goldrausches in der Nähe gewachsen. Dann versank Palmerston, wie die Siedlung damals hieß, erneut in Isolation. Näher rückte die Außenwelt, als 1872 Darwin zum Brückenkopf der Telegrafenverbindung zwischen Australien und Übersee wurde. 1897 und 1937 suchten schwere Wirbelstürme die Stadt heim. 1942/43, gerade nach der Wiederbelebung, bombten japanische Flugzeuge Darwin in Schutt und Asche. Da beschloss man, den abgelegenen, aber strategisch wichtigen Hafenort aufzurüsten. In nur drei Monaten wurde die einzige Nachschubstraße von Alice Springs nach Darwin zum heutigen Stuart Highway ausgebaut.

Nach dem Krieg erneutes Wachstum – bis zum Dezember 1974 ... Seitdem unterteilen die Darwiner ihre kurze, aber bewegte Geschichte in die Zeit vor und nach „Tracy“.

Im Museum of the Northern Territory sind die Schrecken jenes Weihnachtstages zu erahnen. Anhand von Fotos, bizarr verformten Gegenständen und auf Tonband konserviert bringt sich „Cyclone Tracy“ in Erinnerung. In einem abgeschirmten Raum pfeift, heult, ächzt und kracht es schauerlich: der Originalsound des Sturmungeheurs. Nicht umsonst warnt ein Schild an der Tür: „Vorsicht! Bei Personen, die Tracy erlebt haben, können die Geräusche Angstzustände hervorrufen.“ Kein Wunder, schließlich war, so lerne ich mit Ohrensausen, das Monster mit mindestens 275 km/h herangerast; jedenfalls war bei dieser Geschwindigkeit der Zeiger des Windmessers am Flughafen abgebrochen.

Im Museum gibt es auch allerlei zu Kultur- und Naturgeschichte des australischen Nordens zu bestaunen. Wie die Einführung in Flora und Fauna das östlich angrenzenden Arnhemland, wo weite Feuchtgebiete und der weltberühmte Kakadu-Nationalpark jährlich Besucher aus aller Welt anlocken. Einzigartig sind die dort entdeckten, mindestens 40.000 Jahre alten Felsmalereien. Das deshalb von der Unesco 1987 als „Welterbe der Menschheit“ ausgewiesene 20.000 Quadratkilometer große Schutzgebiet ist nach den Gagadju benannt, einem der Aborigines-Völker, die das Reservat den Weißen geliehen haben. Dessen Schätze ergänzt das Museum durch eine großartige Sammlung von Aboriginal-Kunst. Darwin ist die Hauptstadt des 1,35 Millionen Quadratkilometer großen Northern Territory, wo sich immerhin ein Viertel der nur 160.000 Einwohner zur Urbevölkerung zählt und rund 20 Prozent des Gebietes als Land der Ahnen beansprucht.

In der 80.000 Einwohner zählenden Stadt sind nur wenige koloniale Gebäude und Ruinen erhalten. Wie Browns Mart, ein Steinhaus von 1885. Jeder schwere Wirbelsturm bescherte ihm eine andere Bestimmung: Börse, Bordell, Polizeistation und nun Theater. Darwin hat ein Herz für Rucksacktouristen. Im Stadtkern findet die Backpacker-Szene preiswerte Hostels, Restaurants, Reisebüros und einen eigenen Automarkt. Hier treffen sich erwartungsvolle Neulinge und erfahrene Australienfahrer beim Fachsimpeln und Globetrotterlatein aus „Down Under“.

Die „Top Ender“ lieben ihre Stadt. Weniger des eher gesichtslosen Zentrums und der expandierenden Industrie wegen. Es sind der lockere Lebensstil, das kosmopolitische Flair und die Nähe zum Wasser, die sie nicht missen wollen. Darwin Harbour, zweimal so groß wie das Hafenbecken von Sydney und seit kurzem durch einen neuen Frachtterminal aufgewertet, ist ein attraktives Tauch- und Segelrevier. Mit Hindernissen: Zwischen November und März tummeln sich in Schwärmen die „Box Jelly Fishes“, gefährliche Quallen, vor der Küste, und alljährlich werden etliche Krokodile aus dem Hafen gezogen. 1997 waren es 200. Die meisten lebendig, denn die geschützten Reptilien müssen an Krokodilfarmen abgeliefert werden.

Nordaustraliens berühmt-berüchtigte Leistenkrokodile sind längst zum – auch kommerziell genutzten – Wahrzeichen avanciert; der am South Alligator River gedrehte Film „Crocodile Dundee“ lässt grüßen. Wer während der Trockenzeit auf dem Weg zum Kakadu Park am Adelaide River anhält, kann von einem Ausflugsboot aus die „Jumping Crocs“ erleben. Bis zum Schwanz springen die bis fünf Meter langen Echsen aus dem Wasser, um sich die an Angeln baumelnden Fleischbrocken zu schnappen.

Darwin gilt als nationale Hochburg des Bierkonsums, angeblich sind Hitze und Langeweile schuld. Der erste Grund leuchtet ein, doch auf der faulen Haut liegen die Darwiner nicht unbedingt. Festivals und Sportereignisse füllen den Kalender. Stadtteilmärkte wie der von Parap, inzwischen beliebter als der große Mindil Beach Sunset Market, vereinen die vielen Nationalitäten. Neben den Leckereien aus Asien, aus Ozeanien, Lateinamerika und Osteuropa fehlen auch nicht die Original German Bratwurst und – exotisch für unsereins – Känguruh- und Emusteak.

Ganz offiziell dem großen Durst gewidmet ist im August die Darwin Beer Can Regatta vor dem Mindil Beach. Die unmöglichsten Boote nehmen teil. Einzige Startbedingung: Sie müssen ausschließlich aus leeren Bierdosen gebastelt sein!

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