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Im Dschungel der Magazine

Vom Fundstück zum Kunstobjekt: Die Austellung „Gegen-Stände“ im Völkerkundemuseum präsentiert sich als Großinstallation  ■ Von Hajo Schiff

Unbekannt mögen die Dinge in einem Museum für Völkerkunde ja sein, aber vom Reiz des Neuen profitieren sie gewöhnlich nicht. Den aber kitzelt jetzt die Sonderausstellung Gegen-Stände heraus, die wie eine künstlerische Großinstallation funktioniert. Die wirklichen Überraschungen liegen heute sowieso kaum mehr im Urwald, sondern in den dschungelartigen Tiefen der Museumsmagazine. Und genau da hat Helmut Freiburg, zugleich bildender Künstler und technischer Leiter des Hauses am Rothenbaum, sich umgesehen. Wie ein Regisseur bringt er ethnologische und technische Objekte des Museums für Völkerkunde in einer subjektiven Inszenierung zu neuen Sinninseln zusammen.

Puppen und zerstörte Vitrinen, Stuhlreihen oder ein Ständer mit wie nur eben zur Arbeitspause abgelegten afrikanischen Hacken geben auch außerethnologischen Interpretationsmöglichkeiten breiten Raum. Im Spiel zwischen massenhafter Anhäufung und gezielter Vereinzelung entfalten die Dinge ihre ganz eigene Subjektivität, mit allen Spuren ihrer auch durch die Einlieferung in Hamburg nicht beendeten Geschichte. Dabei werden Kostbarkeiten und Alltägliches ästhetisch gleich behandelt. Sie sind Material für einen Umgang, wie er im Bereich aktueller Kunst und im Bühnenbild üblich ist.

Als Auftaktveranstaltung für eine intensive Darstellung der Schätze in den Magazinen des Hauses reflektiert sie auch die eigene Geschichte des Zugriffs auf Menschen und Dinge. In einem großen Kreis auf dem Boden sind einst nach dem Leben abgeformte Gipsköpfe osteuropäischer und asiatischer Völker versammelt: Einst als Beweis einer längst verlorengegangenen These mühsam in Russland angefertigt, scheinen sie nun als Individuen die Besucher nach ihren Phantasien gegenüber dem Fremden zu fragen.

Auch die seltenen und wunderschön stilisierten Sope-Figuren aus Nukuoro in Mikronesien sind gekommen: Ihren Kopf hat der Hamburger Kunstprofessor Almir Mavignier in einem Plakat schon vor Jahrzehnten zu einer dem modernen Kunstverständnis gleichen Plastik stilisiert. Doch hier stehen sie zu zweit in der Ecke vor der Wand und wenden den Besuchern den Rücken zu. Sind sie – abgeschnitten von der Ahnenverehrung ihres Volkes und in ihrer neuen Heimat zu wenig beachtet – nun endgültig beleidigt? Oder wollen sie erstmals vorwurfsvoll ihre auf den Rücken gemalte Inventarnummer vorzeigen?

Es liegt an der Stimmung der Gesamtinstallation, dass man geneigt ist, Objekten solche Fragen zu unterstellen. Denn die hier gewählte Form der Präsentation geht in einem Maße frei mit den Objekten um, dass die Frage, ob das denn überhaupt noch angemessen sei, zwar durchaus auftaucht, zugleich aber auch als eine jener Grenzziehungen kenntlich wird, die gegenüber Objekten aus den ehemaligen Kolonien besonders kompliziert verlaufen. So wie die Ethnologie selbst langsam zu einer vergleichenden Sozialforschung wird, deren Thema statt nackter Wilder ebenso Wuppertaler Fußballfans sein können, können auch die Objekte ihre Bezugssysteme wechseln.

In der Rotunde sind in einem großen Aschenhaufen ein versinkendes Grabkreuz aus Großenwöhrden im Land Kehdingen und eine hängende Ahnenfigur aus der Sepik-Region in Neuguinea konfrontiert. Die assoziationsreiche Installation heißt „Dialog“. Aber können die Objekte denn das, reden? In einem Haus, in dem so viele Fetische versammelt sind, können sie das vielleicht besser als anderswo, nimmt man sich denn die Zeit, ihnen zuhören.

Knapp hundert Jahre, nachdem Künstler wie Picasso in den ethnologischen Sammlungen überrascht etwas sahen, was ihren eigenen künstlerischen Ansätzen zu gleichen schien, wird erneut die Frage gestellt, inwieweit die Zuordnung der Dinge zu spezialisierten Museen sinnvoll ist.

Vielleicht kann gerade das Völkerkunde-Museum heute jenseits gängiger Klischeevorstellungen für einen offeneren Blick auf eine Welt im Wandel sorgen, indem es die Subjektivität einer jeden Kulturkonstruktion betont. In einer vierzigseitigen Broschüre mit dem die Bezüge erst einmal offen lassenden Bindestrichtitel „Kunst-Museum-Völkerkunde“ sind dazu Texte und Zitate gesammelt. Sie verstehen sich als Anregungen, die in diesem Hause seit fünf Jahren forcierte Diskussion um das Wesen und die Zukunft der Gegenstände zwischen ethnologischem Belegstück und beziehungsfreiem Kunstobjekt weiterzuführen.

„Gegen-Stände: Der innere Reichtum des Museums“, Museum für Völkerkunde, Rothenbaum-chaussee 64, bis 4. Juni. Zur Ausstellung gibt es in Zusammenarbeit mit „TonArt“ eine Reihe von Improvisationskonzerten. Sie beginnt diesen Donnerstag um 19 Uhr mit den „True Muze All Stars“, die Jazz, Neue Musik und ethnischer Tradition vermischen: mit einem Trompeter aus Kalkutta, einem Klarinettisten aus Sarajevo und einem Kontrabassisten aus Hamburg.

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