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Freiheitmacht arm

Erfolg haben in Berlin nur wenige Künstler. Der Rest hält sich gerade so über Wasser, soziale Absicherung gibt es eh nicht. Eine Reportage ■ Von Katrin Bettina Müller

Bloß nicht jammern. Bloß nicht Mitleid schinden bei denen, für die eine feste Anstellung und bezahlter Urlaub zum Normalfall gehören. Das legen mir die beiden Malerinnen, die ich nach ihren Produktionsbedingungen befragen will, ans Herz.

Und lieber nicht die richtigen Namen nennen. Das Stigma des Misserfolgs kann man sich nicht leisten im Kunstbetrieb. Da weiß zwar jeder, dass Erfolg in der Kunst und schwarze Zahlen auf dem Konto nicht das Gleiche sind. Dennoch redet man nicht darüber, womit man sich so durchwuselt im Leben.

Maria, 39, rechnet nach. Seit sie Anfang der Achtzigerjahre die Hochschule verlassen hat, konnte sie vier Jahre fast ausschließlich von und für die Kunst leben. Das war, als die Stipendien sich aneinander anschlossen – Kulturfonds, Frauenstipendium, Atelierfonds. „Aber am Ende wacht man auf und geht Rahmen bauen, vier Tage die Woche“.

„Das ist immer ein Ziehen und Würgen. Jobs decken das Nötigste ab, manchmal kommen Verkäufe hinzu“: Maria hat Skulpturen im Museum bewacht, mit Schulklassen Trickfilme gezeichnet, alte Menschen betreut und manchmal für einen Vortrag ein Honorar bekommen. Dann nähern sich die Welt des Geldverdienens und der Kunst einander an. IhreBilder waren derweil in westdeutschen Kunstvereinen, einer anerkannten Berliner Galerie, in Ausstellungen und auf dem Art Forum Berlin zu sehen. Managen lassen sich diese Paralleluniversen nur, wenn einen die Jobs nicht auffressen.

Für Kathrin – auch dieser Name ist geändert – war das fünf Jahre lang das Problem. Sie hat mit Behinderten getöpfert und mit Knackis in Tegel gearbeitet. „Da wird man schlecht bezahlt und heftig in Notlagen involviert, auf die man nicht vorbereitet ist und die man eigentlich kaum aushält“, sagt die 37-jährige Künstlerin. Es ist kein Zufall, dass die Jobs der Künstler sie oft in Randgruppen führen. Als ob sie den Luxus, Kunst zu machen, dort mit der Reibung an den härtesten Kanten der Realität abbüßen müssten. Als Kathrin jedenfalls eine Nachwuchsförderung bekam, ließ sie die Jobs fallen.

Für die Entfaltung ihrer Malerei war die Pause von den ökonomischen Sorgen die entscheidende Phase: Ausstellungen in Galerien und Gruppenprojekten brachten sie weiter. In den Räumen einer Bankfiliale und in einem Architekturbüro hat sie Friese an den Wänden gestaltet, die Bildverkäufe nach sich zogen. Gelingt der nächste Verkauf, kann sie ihren aktuellen Job bei Wohnungsrenovierungen wieder sein lassen. „Wände zu lasieren“, sagt sie, „macht zwar Spaß und bringt auch Erfahrungen, die ich später verwenden kann, aber Kraft für das Atelier lässt die Knochenarbeit nicht. Körperlich ist man danach im Eimer“. Dann fällt sie fast vom Fahrrad, mit dem sie fährt, weil die BVG zu teuer ist.

Knapp 4.000 bildende Künstler arbeiten, nach Schätzung des Berufsverband Bildender Künstler (BBK) in Berlin, von denen nur ein kleiner Teil gute Geschäfte machen kann. Der Markt funktioniert, solange nur wenige Spitzen aus den breiten Tälern ragen. Das Risiko des wirtschaftlichen Erfolgs – höher steigen, tiefer stürzen – gehört zum Bild der Kunst. Sicherheit ist nicht vorgesehen, Existenzangst und Selbstreflexion als Steigerung der Kreativität schon. Das weiß man, eigentlich. Und verdrängt es.

Die Politik weiß keine Antwort auf dieses Dilemma. Musiker haben, zumindest wenn sie in großen Orchestern spielen, Tarifverträge: Da ist die Kunst zugleich Beruf. Für bildende Künstler gibt es dies kaum. Was für ihre soziale Absicherung vom Kulturetat der Stadt ausgegeben wird, ist ein Anteil von weniger als einem Prozent des Etats. Zu den wenigen Instrumenten der Unterstützung gehört die Soziale Künstlerförderung, die mit Werkverträgen zwischen 2.000 und 6.000 Mark ein paar Monate weiterhilft. Sie kommt aus dem Etat des Senats für Soziales und Gesundheit und hat die letzte Legislaturperiode nur mit Kürzungen und einer gewagten Kooperation mit einer Bank überstanden.

Initiativen, Ausstellungshonorare gesetzlich zu verankern oder mit einem „Goethegroschen“ Urheberrechtsgebühren in Fonds zur Förderung junger Künstler umzuleiten, waren bisher politisch nicht durchsetzbar. „Wir subventionieren mit unserer unbezahlten Arbeit die Kultur, mit der Berlin dann für sich wirbt“ – so spitzen die Sprecher der Künstlerverbände das Problem zu. Teilweise wird das Ausstellen für Künstler sogar teuer, wenn die unter Geldmangel leidenden Kulturbetriebe eine Eigenbeteiligung von ihnen an den Kosten für Einladung und Katalog verlangen. Weniger denn je garantiert eine lange Ausstellungsliste auch schon wirtschaftlichen Erfolg.

Einige legen sich in dieser Situation einen Panzer aus Zynismus zu, andere verfallen in Trotz und lehnen das Gewinnspiel am Markt gleich als Kommerzialisierung ab. Ungeschoren lässt die Situation fast niemanden. Das Klischee vom armen und unerkannten Genie passt nicht: Anerkennung ist ja da, nur reicht sie nicht.

Dass die Entwicklung der Kunst und das Marketing zwei Paar Schuhe sind, wissen auch Maria und Kathrin. Dennoch lasten sie sich, nicht verkaufen zu können, als persönliche Schwäche an. „Man sollte, man muss“, sitzt Kathrin der Druck der Vermarktung im Nacken und dennoch „krieg ich bei Ausstellungseröffnungen die Krätze“. Maria hat schon überlegt, ob tief am Grund ihres mangelnden Geschicks, sich wichtige Beziehungen warm zu halten, vielleicht doch ein Rest bürgerlicher Erziehung lauert: „Es war verdächtig, Geld mit etwas zu verdienen, das Spaß macht.“

Der Blick in die Zukunft ist nicht rosig. „Wenn man es heute bis vierzig nicht geschafft hat, hat man schlechte Karten“, sagt Kathrin. „Unendlich lange kann man das nicht weiter strapazieren, da wird man launisch und depressiv“, sagt Maria. Dann flitzt sie davon. Zum nächsten Job.

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