: Mit Gameboy in die Family Street
Bei der 1:3-Niederlage von Hertha BSC in Leverkusen wird nicht nur bei den Fußballern, sondern auch bei den Fans ein Klassenunterschied sichtbar ■ Aus der Bay-Arena Christoph Ruf
Die S-Bahn-Station Hösel liegt auf der Strecke von Essen nach Düsseldorf. Wer hier Fußball nicht degoutant findet, hat seine Sympathien meist auf einen der beiden Regionalligisten an den jeweiligen Gleis-Enden verlegt: Rot Weiß oder Fortuna – Bayer 04 Leverkusen stößt hier hingegen auf konzentriertes Desinteresse.
Doch am Samstagmittag war sie da, die Zielgruppe des Meisterschaftskandidaten aus der Chemiestadt: Vater, Mutter, Sohn und Tochter aus gutem Hause – ausstaffiert wie bei einem sonntäglichen Waldspaziergang. Wäre da nicht der Bayer 04-Schal von Sabine gewesen: „Wir sind das erste Mal live im Stadion“, gab ihr Bruder Mathias noch kurz zu Protokoll, ehe er sich wieder seinem Gameboy widmete.
Ekstatischer Vorfreude auf die Initiation in den Ritus eines Fußballspiel bedarf es in der Bay-Arena allerdings auch nicht. Denn bei Bayer tut man alles, um die Aufmerksamkeit der Gameboy-Generation vor allem vor und nach dem Spiel zu wecken und zu Geld zu machen: Die Ausstellungsfläche für Fanartikel ist größer als bei Arsenal London, McDonald’s im Stadiontrakt integriert, bis kurz vor Anpfiff herrscht Dauerbeschallung sämtlicher Sinne. Und irgendwie wirkten die Hertha-Anhänger bei der Zelebrierung dessen, was man in Berlin für Fankultur zu halten scheint, reichlich antiquiert: Laut und komplett IQ-frei („Ramelow, du Fotze“) die Gesänge, stilecht die Schals („Deutschland gegen St. Pauli“), alkoholgebeutelt Diktion und Gang.
Schwierigkeiten bei der Fortbewegung hatten die Fans aus der Hauptstadt am Samstagnachmittag allerdings mit ihrer Mannschaft gemein: Reichlich tumb und orientierungslos stolperten die Hertha-Spieler über den Rasen. Und stellten nach neun Minuten ihre Angriffsbemühungen fast komplett ein: Da nämlich hatte Marco Rehmer eine Flanke von Michael Preetz zum 0:1 verwandelt. Danach spielte nur noch Bayer. Angetrieben von dem famosen Emerson war vor allem die linke Außenbahn unbestrittenes Bayer-Territorium, auf dem sich Ze Roberto und Beinlich ungestört produzieren konnten. Einen Sololauf Beinlichs verwandelte Ulf Kirsten zum Ausgleich (13.), ehe elf Minuten später der Auftritt des Ze Roberto kam. Der demütigte den bedauernswerten Dik van Burik mit ein paar Hüftschwüngen, die dem Holländer schmerzhaft die Grenzen seiner Feinmotorik aufzeigten. Und vergaß dann nicht, den Ball als Zugabe zum 2:1 in den Winkel zu zirkeln.
Hertha sah unterdessen interessiert zu, das Gros der Spieler hätte sich wohl am liebsten auswechseln lassen, um zu den Darbietungen der Heimmannschaft noch ungestörter von draußen applaudieren zu dürfen. Doch dieses Privileg ereilte zunächst nur Kjetil Rekdal, der nach dem 3:1 durch Paulo Rink zum Duschen geschickt wurde. „Normalerweise kommentiere ich Auswechslungen nicht. Aber ich muss sagen, dass nach der Hereinnahme von Hendrik Herzog die Abwehr besser stand“, wurde Hertha-Manager Dieter Hoeneß seinen Prinzipien untreu. Und Trainer Jürgen Röber befand ebenso treffend, er hätte „zu dieser Phase noch einige Leute mehr herausnehmen müssen“. Da Bayer danach gleich zwei Gänge zurückschaltete, verlebten Kaninchen und Schlange fürderhin einen etwas konfliktfreieren Nachmittag.
Als Schiedsrichter Steinbom abpfiff, zeigte sich erneut, dass das kollektive Verhalten in der Bay-Arena nur marginal mit dem in Fußballstadien zu vergleichen ist. Das Gros der „Family Street“ – anderorten Haupttribüne genannt – war schon seit zehn Minuten gen Merchandising-Stand entfleucht, die betuchtere Sitzplatzklientel drehte sich vom Spielfeld weg und richtete den Blick andächtig gen oben. Dorthin, wo auf den Ehrenplätzen bei Bayer so viel Prominenz sitzt, dass Alt-Schiedsrichter Walter Eschweiler und Alt-Reporter Heribert Faßbender keines Blickes gewürdigt wurden.
Und die Familie aus Hösel? Wird zum nächsten Heimspiel sicher wieder in die Bay-Arena kommen. Wenngleich sich die Eltern über die Hertha-Fans echauffiert haben dürften, entsprachen die doch so ganz dem, was sie an Fußball-Fans abstoßend finden. „Ein Glück, dass es solche Leute in Leverkusen nicht gibt“, werden sie sich vor dem Einschlafen gedacht haben. Und da haben sie eigentlich auch Recht. Eigentlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen