piwik no script img

Gut gemeinsam gealtert

■ Wer bei sich selbst ist, kann sogar in Bremen leben: Wolf Biermann musizierte, sang und scherzte im fast ausverkauften Theater am Goetheplatz

„Deutschland, Deutschland“, hat Wolf Biermann jüngst gedichtet, „ist wieder eins, nur ich bin noch zerrissen.“ Am Montagabend konnte sich das Bremer Publikum im fast ausverkauften Theater am Goetheplatz davon überzeugen, dass Biermann es nicht wörtlich meint. Rein körperlich schaut der gesamtdeutsche Dichter und Sänger ganz und gar nicht zerrissen aus seiner ewig gleichen Wäsche – an den Füßen Kreppsohlenhalbschuhe so braun wie der Korpus seiner Klampfe, die Altmänner-Bügelfaltenhose, offenes Hemd und im Gesicht den Schnurrbart, den er schon auf den Plakaten der 70er als Drahtharfen-Schütze trug. Biermann ist mit sich und seiner poetischen Zerrissenheit völlig im Reinen.

Ähnlich geht es wohl auch seinem Publikum. Jahr für Jahr findet sich die Bremer Biermann-Gemeinde weitgehend vollzählig zusammen, um drei bis vier Stunden lang in Dialektik zu schwelgen. Beeindruckt stellt man fest, dass man gemeinsam wieder ein Jahr gealtert ist. Im Kopf dabei aber natürlich immer jünger wird, hier geht es schließlich um die Kunst des Widerspruchs. Und wer könnte die besser in Worte fassen, als der 64-jährige Biermann. Wenn er von seinen zehn- und elfjährigen Kindern erzählt, dann tut er das in Sätzen wie diesem: „Ich mach' mir meine Enkel noch selber – aber da gehört nun wirklich nicht viel dazu.“

Sein Programm handelte diesmal von Berlin, der „Stadt, in der ich die wichtigsten Jahre meines Lebens verbracht habe“ – von der freiwilligen Übersiedlung in die DDR im Aufbaujahr 1953 bis zur Ausbürgerung im deutschen Herbst 1976. Doch nicht wie damals im Osten, sondern im edlen Westen Westberlins, in der Grunewaldvilla des Wissenschaftskollegs, hat Biermann mit Familie ein Jahr verbracht und festgestellt: „Heimweh nach früher hab ich keins.“

Was natürlich nicht wörtlich gemeint ist. Denn die Gedichte und Lieder, in denen Biermann unter dem Titel „Paradies uff Erden“ von Berlin berichtet, spiegeln den Verlust seiner Freunde und der „treuen Feinde“ von damals. Stasi-Spitzel, Krenz, Honecker und das ZK, aber auch die liebste Eckkneipe an der Chausseestraße, der Hugenottenfriedhof, Robert Havemann und Jürgen Fuchs treten in ihnen auf. Die Überleitungen, mit denen Biermann sie im Plauderton verknüpft, sind Kleinkunstwerke – bis zum letzten Augenaufschlag kontrolliert und voller Selbstzitate. „Ich bin da nicht meiner Meinung“, sagt Biermann wie vor zwei, vier, sechs, zehn Jahren. Und das Publikum lacht noch immer.

Aber es gibt in den Liedern und Gedichten auch manche neue Melodie, manche liebevoll gedrechselte Zeile, die aufmerksames Zuhören reichlich belohnen. Auf einer leeren Bühne sitzt Biermann mit nichts als der Gitarre im Schoß, singt, erzählt, rezitiert und schafft es, die Spannung über Stunden zu halten. Dabei wird seine Arbeit mit dem Schwund starker Themen nicht gerade einfacher. Wo sonst gibt es unter all den neudeutschen Nonsens-Performern noch ein solches Talent?

„Lässig“ sei die Welt geworden, konstatiert Biermann und ist eigentlich ganz froh damit. Beruflich pflegt er die alten Konflikte, persönlich treiben sie ihn nicht mehr um. Sein Verhältnis zur hassgeliebten Hauptstadt hat sich völlig entspannt. Zurück in Hamburg stellt er fest: „Heute ist ja alles einfach. Wenn ich will, bin ich schnell in Berlin – und schnell wieder weg. Beides ist gut so.“

Das Bremer Publikum bedankte sich mit warmem Applaus und tat Biermann gerne den Gefallen, sich hörbar über die einzige Bosheit zu ärgern, die er am Montag aus Hamburg mitgebracht hatte: „Provinz ist immer eine Eigenschaft des Kopfes und nie des Ortes“, sprach der Dichter und Denker, „wenn man bei sich selber ist, kann man sogar in Bremen leben.“

Dirk Asendorpf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen