: Der Kanal zum Bügeln, Putzen und Kochen
■ Wir hören das komplette Radioprogramm der Bremer Region an. Im neunten Teil unserer richtig durchgeweichten neuen Serie: Radio Bremen 3 „Melodie“
Nie war so viel Radio wie heute. Da kann man schon mal den Überblick verlieren. Wir stellen alle Programme vor. Heute – vielleicht schon ein Nachruf auf – Radio Bremen 3 Melodei, ähem „Melodie“.
„Was gibt es denn bei Ihnen zum Mittag?“ fragt der Moderator höflich die Zuhörerin. Sie hat angerufen, um beim Melodienraten eine „Radio Melodie Kaffeekanne“ zu gewinnen. „Gulasch mit Spargel“ antwortet diese morgens um halb zehn stolz. Und nachdem der Moderator sich neckisch und verschmitzt fast selbst dazu eingeladen hätte und sie zudem das Rätsel in nur drei Sekunden knackte, war die Stadt zumindest für ein paar Minuten um eine glückliche Hausfrau reicher. Und nichts anderes scheint auch der Sinn dieses seltsamen Spartenprogramms zu sein.
„Radio Bremen Melodie“ ist kaum mehr als eine akustische Aufmunterung zum Bügeln, Kochen und Putzen. Die ModeratorInnen wurden offensichtlich danach ausgewählt, wie enthusiastisch sie mindestens einmal pro Stunde „Moin, Moin“ sagen können. Das Musikprogramm besteht aus einer Mischung aus deutschen Schlagern, Volksmusik und Evergreens, die alle „Heile, Heile Gänschen“ heißen könnten. Englisch wird nur gestattet, wenn das Lied mindestens 30 Jahre alt ist. Viele längst in Ruhestand gegangene deutsche Schlagermacher müssten den Sender heiß und innig lieben. Denn wo sonst gibt es noch Tantiemen dafür, dass etwa 40 Jahre alte B-Seiten von Ralf Bendix aufgelegt werden.
„Radio Bremen Melodie“ basiert auf einer Notlösung, und das merkt man dem Programm auch in jeder Sendeminute an. 1995 wurde die Hansawelle auf modern getrimmt, und die älteren HörerInnen sollte dieses Programm mit dem „gemütlichen Lebensgefühl“ (so die Eigenwerbung damals) reichlich spät daran hindern, zur NDR-Konkurrenz „Radio Niedersachsen“ abzuwandern. Das HörerInnenpotenzial war immer noch enorm. Das Problem ist nur, dass „Radio Bremen Melodie“ so ärmlich und niveaulos daherkommt, und die meisten einheimischen Melodiesüchtigen sich deshalb lieber von „Radio Niedersachsen“ berieseln lassen, das die gleiche Zielgruppe viel professioneller bedient. „Radio Bremen Melodie“ biedert sich dagegen so plump bei seiner ZuhörerInnenschaft an, dass sich der Verdacht einschleicht, die MacherInnen würden ihr Metier mit Herablassung betreiben. Was der Gründervater Karl-Heinz Calenberg von seinem Klientel hielt, machte er beim Startschuss des Programms in einem taz-Interview klar. Damals beklagte er sich darüber, dass statt der neuen „Hansawelle“ die „Melodie“ eine neue Frequenz (96,7) erhielt. Sowas könne man den Leuten kaum zumuten, denn nun „erwarten wir von den Menschen, die zum Teil etwas älteren Datums sind, dass sie einen technischen Vorgang an ihrem Radio vornehmen.“ Der Mann traute seinem Stammpublikum offenbar nicht allzuviel zu!
Nebenbei wurde RB-„Melodie“ auch als Altersheim für Sendeformate verwendet. Fast alle in den 60ern bis 80ern bei Radio Bremen beliebte Sendereihen wie „Das Hafenkonzert“, „Über'n Gartenzaun“, „Der Bremer Container“, „Küstenschnack“, die plattdeutschen Nachrichten und sogar das sterbenslangweilige Zukunfts-Gesprächsforum „Bremen 2000“ (heißt auch im neuen Jahrtausend noch so!) haben hier eine Bleibe gefunden.
Für die Hansawelle waren sie wohl zu altmodisch, aber ein paar Tausend treue HörerInnen wird es wohl noch geben, und so erinnern sie jetzt hier an die Goldenen Zeiten von Radio Bremen, als Monika Kluth noch mit ihrem „Kaffeepott“ bis zu 54 Prozent aller RadiohörerInnen in Bremen weckte. Auch diese Moderatorin arbeitet bei RB- Melodie“ auf ihre wohlverdiente Rente hin, und der Kanal produziert seine Sendeminuten so billig, dass die paar zuhörenden treuen Seelen sich wohl auch für die Zukunft keine Sorgen zu machen brauchen. Denn „Melodie ist Ihr Zuhause: Mit Melodien zum Mitsingen, Mitsummen und Mitswingen.“ So die (viele „technische Vorgänge“ von den „Menschen älteren Datums“ entfernte) Selbstdarstellung auf der Homepage von Radio Bremen.
Wilfried Hippen
RB-Melodie auf Ukw 96,7 Mhz
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