■ Heute startet „Big Brother“ – eine der „umstrittensten Sendungen der Fernsehgeschichte“ („FAZ“). Eine Baracke, zehn Menschen, hundert Tage – und die Kamera von RTL 2 immer dabei. Ist das menschenverachtend oder nur schlechte Unterhaltung? Das wahre Gerammel findet jedenfalls längst woanders statt: Von Menschen und Mäusen
Es handelt sich um eine Herausforderung, ein Abenteuer, einen Aufbruch zu neuen Horizonten, einen Meilenstein der deutschen Fernsehgeschichte. Das verspricht zumindest RTL 2.
„Big Brother“ hat begonnen. Am Montagabend um 23.40 Uhr startete der Privatfernsehsender seinen Feldversuch: „Die Tür ist zu – nach der Werbung sehen wir uns wieder“, verkündete Moderator Percy Hoven auf der „Eröffnungsshow“. Ab heute kann das Treiben von fünf Frauen und fünf Männern im Alter zwischen 22 und 37 Jahren im von 28 Kameras durchleuchteten „Big Brother“-Haus täglich zur Primetime für 50 Minuten – abzüglich der Werbeunterbrechungen – begutachtet werden. Im Internet bereits seit gestern.
Die Location ist passend gewählt. Wo, wenn nicht in Hürth-Efferen, hätte das Kölner Architektenbüro Philippson + Partner den „Big Brother“-Container aufstellen sollen? Schließlich wird auf dem NOB-Gelände schon länger TV-Geschichte gemacht. Glanzlichter deutscher Fernsehunterhaltung wie „Hans Meiser“, „Birte Karalus“, „Jeopardy“, „Veronas Welt“ und die „Karl Dall Show“ werden hier produziert.
Für „Big Brother“ hat man angebaut. Jetzt steht hinter den Studios auch noch eine 52,56 Meter lange und 26,96 Meter breite eingeschossige Baracke.
Kerstin, Manuela, Despina, Andrea, Jana, John, Jürgen, Thomas, Alexander und Zlatko versuchen, es in dieser Baracke 100 Tage auszuhalten und sich dadurch die ausgelobten 250.000 Mark zu verdienen. Alle zwei Wochen muss ein Kandidat das Feld räumen – bis zum Schluss einer übrig bleibt. Wer als erster fliegen wird, entscheiden am 12. März die Zuschauer per TED.
Wenn die aufgezeichnete Eröffnung tatsächlich ein Vorgeschmack auf „Big Brother“ war, ahnt man nun, was in den kommenden Wochen zu erwarten ist. An Banalität und Langatmigkeit. Das ist konsequent, denn längst gilt „Big Brother“ als der Medien-Hype des Jahres.
Nicht ganz zu Unrecht verkündete Moderator Hoven: „Noch nie hat eine Sendung für so viel Aufregung gesorgt.“ Zumindest nicht mehr seit Wolfgang Neuss den Halstuchmörder verriet. „Menschenverachtend“, ruft die CDU, „skandalös“, tönt es aus der SPD, und der katholische Medienbischof Hermann Josef Spital ruft zum Boykott auf. Die „Big Brother“-Dauerüberwachung müsse „gerade bei Menschen in der früheren DDR Befremden und Erschrecken hervorrufen“, fürchtet Spital. Eine bessere Werbung hätte sich RTL 2 natürlich nicht wünschen können. Das bringt Quote und damit Werbeeinnahmen. Der Sender hofft auf Umsätze von rund 46 Millionen Mark – bei 30 Millionen, die RTL 2 für die Produktion bezahlen musste.
Die bundesdeutsche Gesellschaft ist jedenfalls tief gespalten. 78 Prozent der von der Fernsehzeitschrift TV Today befragten Deutschen fürchten, die Sendung überschreite die Grenzen. Eine Befragung von TVneu ergab allerdings, dass 36,9 Prozent sich vorstellen könnte, bei „Big Brother“ mitzumachen. Interessant ist die Schnittmenge.
Dabei gibt es nicht viel zu sehen, außer Leuten, die dummes Zeug reden, um die Zeit totzuschlagen. Da gibt es beispielsweise Zlatko, der stolz von sich selbst sagt, noch nie in seinem Leben ein Buch gelesen zu haben, Jürgen, ein „Frauentyp mit Ohrring“, den Bücher langweilen, und den Kneipier und Porsche-Fahrer Alexander, der ebenfalls viel Wert auf sein Macho-Image legt. Wer wird ihnen beim Balzen zuhören wollen?
Halbfeuchte Männerfantasien wurden bei der Eröffnungsshow mit dem Vorstellungsclip von Jana (24) geweckt. Die etwas pummelige Kamp-Lintforterin macht ansonsten beruflich Telefonsex und Nacktfotos. Im Clip legte sie für wenige Sekunden ihre Brust frei. Es war einer der wenigen Momente, der das Publikum auf dem Set aufwühlte. In ihrer „Big Brother“-Internetbiografie wird darauf hingewiesen, dass Jana „chinesische Liebeskugeln als Sexspielzeug“ bevorzuge. Noch besser: „Auf die will sie auch im Big-Brother-Haus nicht verzichten.“
Die Erwartungshaltung der so Angefixten wird enttäuscht werden. Denn im Einsatz werden die Zuschauer die Kugeln nicht sehen können. Da sind die Jugendschutzbestimmungen vor, die RTL 2 penibel einhalten will. Ihren Gegenpart findet Sharon-Stone-Verehrerin Jana in Manuela. Die 22-jährige Jura-Studentin findet One-Night-Stands „scheiße“, vergleicht sich gerne mit Claudia Schiffer und wirkt auch tatsächlich so. „Die wird auch 200 Tage schaffen, die ist so ehrgeizig“, sagt ihre begeisterte Mutter.
Trotzdem sieht der Vorsitzende der Medien-Kommission der Länder, Kurt Beck (SPD), das „Wertegerüst unserer Verfassung“ bedroht. Die dröge Nummer erinnere ihn „an Versuche, wie wir sie bisher nur mit Ratten kennen“.
Offensichtlich kennt der sozialdemokratische Berufsbedenkenträger den Berliner Radiosender 94,3 r.s.2 nicht, wo bei „Big Bunny“ auch noch die letzten Schamgrenzen gefallen sind. Wer Gerammel sehen will, muss hierhin ausweichen. Denn seit Montag kann jeder im Internet unter www.rs2.de das Treiben des warmen Wolfgangs, des stinkenden Stefans, der rolligen Ronny, des cleveren Klaus’, des dicken Dieters, der wuchtigen Waltraud, der ulkigen Uschi, der launischen Lili, der sexy Susi und der braven Beate in dem voll digitalisierten Kaninchenstall beobachten.
Der Hessische Rundfunk bietet mit „Big Mother“ eine Mäuse-Wohngemeinschaft an. Das ARD-Morgenmagazin macht es mit Hamstern. Im Vergleich zu ihrem „Watching you“ sei „Big Brother“ etwas für „Warmduscher und Schattenparker“, wirbt die Redaktion. Helga und Harald mussten schon raus. Die fünf „Big Brother“-Hühner hingegen haben bisher noch nicht einmal einen Namen. Pascal Beucker, Köln
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